„DRAG IST DURCHAUS POLITISCH“
Queere Performances treffen auf kulinarische Leckereien: Seit zwei Jahren veranstalten die Macher*innen von „EAT IT“ einen Drag Brunch in der Freitagsküche. Nun wird Jubiläum gefeiert.
Von Markus Wölfelschneider (Text), Neven Allgeier (Foto)Gestern war in den Räumen der Frankfurter Freitagsküche deutlich mehr Glamour. Heute heißt es: Aufräumen nach der Party. Gläser müssen gespült, der Boden gefegt werden. Die ausgedruckten Menükarten hängen noch an den Wänden und an den Toilettentüren prangen noch die kunstvoll gestalteten Schilder mit dem Hinweis „Gender Neutral“. Auf dem Tresen steht das letzte Stück Red Velvet Cake. Im Laufe unseres Treffens wird es von vielen zurückhaltend-höflichen Händen Bröckchen für Bröckchen langsam abgetragen, ohne dabei jedoch ganz zu verschwinden.
Dominik Eckel alias Bla Bla Fck hat sich extra für uns noch einmal in Schale geworfen, im selbstgenähten Kleid und mit Lieblingsperücke. Bla Bla als Drag Queen zu bezeichnen, trifft es nicht wirklich. „Manchmal möchte ich Kurven haben und trage Brüste. Meinen Bart rasiere ich aber fast nie, weil ich nicht zu hundert Prozent als weiblich gelten will.“ In der Coronazeit fing Dominik an, mit Make-up zu experimentieren. „Ich habe mich lange als Cis-Mann verstanden und meine weibliche Seite unterdrückt. Heute bin ich irgendwas zwischen genderfluid und non-binär.“ Dominik und Bla Bla lassen sich nicht trennen. „Bla Bla ist eine Erweiterung meiner Persönlichkeit.“
Zwischen Drag und Kulinarik
Jeden zweiten Monat findet in den Räumen der Freitagsküche der Drag Brunch „EAT IT“ statt, dazu kommen Abendveranstaltungen in unregelmäßigen Abständen. Tickets kann man über Instagram kaufen, Restkarten – sofern vorhanden – vor Ort. Um den kulinarischen Teil kümmert sich Jennifer Heinz und wird dabei von Lea Gärtner unterstützt. In ihrer Wohnung veranstaltet Heinz regelmäßig den Supper Club Dorsia. Das Kochen hat sie sich selbst beigebracht. Herzhafte und süße Leckereien wie Focaccia, Frittata, Salate und Kuchen kommen beim Brunch auf den Teller. Die Portionen kosten zwischen 3 und sechs Euro. Dazu gibt es Kaffee oder Cocktails.
Jedes Programm besteht aus fünf Performances mit einer Pause dazwischen. Den Auftakt macht immer Bla Bla. Dann folgen die Auftritte der Gast-Acts. „Bei Drag denken die meisten Menschen bloß an Männer in Frauenkleidern, die sich betont sexy geben“, sagt die Veranstalterin Tina Kohlmann. „Das Spektrum an queeren Performances, die wir hier zeigen, ist aber deutlich breiter. Bei uns treten nicht nur Queens, sondern etwa auch Kings, Quings und Aliens auf.“ Die Shows sind ein Mix aus Lip-Sync-Performances, Spoken-Word-Poetry, Burleske und Akrobatik – um nur einige Beispiele für die stilistische Vielfalt zu nennen.
2018 hatte Dionis Kelmendi einen Drag Brunch in New York besucht – und sich gefragt: „Warum gibt es so etwas eigentlich nicht in Frankfurt?“ Mit der Künstlerin Tina Kohlmann, mit der er damals in einer Wohngemeinschaft am Baseler Platz lebte, wollte er das ändern. Vor ziemlich genau zwei Jahren riefen die beiden in den Räumen der Freitagsküche „EAT IT“ ins Leben. Die erste Ausgabe war noch nicht öffentlich, sondern fand im Freundeskreis statt, zu dem viele queere Menschen – darunter auch Drag-Performer*innen – gehörten. „Das war ein Sprung ins kalte Wasser“, sagt Kohlmann. Der allererste Termin ist ihr noch gut in Erinnerung, weil sie ausgerechnet an diesem Sonntagmorgen an Corona erkrankte. „Ich saß zu Hause im Bett und habe einige der Performances per Facetime sehen dürfen.“
Es gibt keine Bühne, die Acts agieren auf Augenhöhe mit dem Publikum. In englischer Sprache führt die Moderatorin Deborah with a D durch das Programm – eine Kunstfigur, die der aus Kanada stammende Tänzer Clay Koonar geschaffen hat. „Deborah und ich haben nicht viel gemeinsam, auch wenn meine Mutter etwas anderes behauptet“, sagt Koonar und lacht. „Deborah ist ein bisschen provokativ und hat einen schlechten Geschmack. Die Teile, die sie trägt, passen oft nicht wirklich zusammen. Ursprünglich hatte ich die Rolle als eine Art New Yorker Power-Woman angelegt, Typ Investmentbankerin. Zu Deborahs allererstem Outfit gehörte eines dieser Uralt-Handys aus den Achtzigern. Deborah hat aber keinen festen Charakter, sondern entwickelt sich immer wieder in eine andere Richtung.“ Sechs Jahre lang war Koonar Teil des Ensembles der Dresden Frankfurt Dance Company. „Ich tanze, seit ich drei Jahre alt bin. Tanzen hat viel mit Perfektion zu tun. Dank Deborah habe ich die Möglichkeit, viel auszuprobieren – und das muss nicht immer perfekt sein. Deborah hat mir zu einer neuen Leichtigkeit verholfen.“
Bla Bla drückt uns einen Geldschein in die Hand, auf dem Bla Bla‘s Konterfei abgebildet ist. Die sogenannten „Bla Bla Euros“ sind als Trinkgelder für die Gast-Acts gedacht. Man kann sie bei den Veranstaltungen am Eingang gegen einen Euro wechseln. Später werden sie in einem Champagnerkühler eigesammelt und verteilt. „Die Leute, die noch nie bei uns waren, erkenne ich meist am Gesichtsausdruck“, sagt Marie Schoppmann. An der Tür empfängt sie die Gäste, macht sie mit Bla Bla bekannt und erklärt, wie alles funktioniert. Zusammen mit dem Fotografen Tobias Still, der ebenfalls zum Team von „EAT IT“ gehört, hat Schoppmann eine Website gebaut, die pünktlich zum Jubiläum fertig sein soll.
Zwischen kreativer Freiheit und Verletzlichkeit
„Drag ist für mich durchaus politisch“, sagt Bla Bla. Es geht nicht nur um Spaß und Unterhaltung, sondern auch darum, normierte Rollenbilder zu hinterfragen. „EAT IT“ möchte nicht zuletzt ein Schutzraum für queere Menschen sein, die in der Öffentlichkeit oft Anfeindungen und manchmal sogar Gewalt erfahren. „Viele fühlen sich zum Beispiel nicht wohl, in Full-Drag mit einem Taxi zu fahren oder zurechtgemacht auf die Straße zu gehen“, sagt Tina Kohlmann. „Die Stimmung ist schon so, dass man sich auf den Straßen weniger sicher fühlt“, bestätigt auch Bla Bla. „Wenn ich mit einem Uber fahre, kommt es manchmal vor, dass man mich für eine Sexworkerin hält. Drag bedeutet immer auch, sich in einer großen Verletzlichkeit zu zeigen. Und das kann man leider nicht immer und überall tun.“
Draußen hat es inzwischen aufgehört zu regnen. Vor der mit Wildem Wein bewachsenen Fassade des Hinterhauses im Bahnhofsviertel, in dem sich die Freitagsküche befindet, stellt sich das Team für ein Foto auf. Bla Bla schlüpft in ein weiteres Outfit, zu dem eine aus Vorhangstoff genähte Kopfverhüllung gehört, die von der Textzeile „What is behind that Curton?“ der Musikerin Laurie Anderson inspiriert ist. „Born, Never Asked“ heißt der Song.
„‘EAT IT‘ ist viel mehr als die Personen, die jetzt hier stehen“, sagt Dionis Kelmendi. Nicola Malkmus und Leander Grass hinter der Bar sowie Resident-DJ Juliet Carpenter sollten wir deshalb unbedingt noch erwähnen. Außerdem Verena Mack und Stefan Mosebach, deren Illustrationen auf Speisekarten oder Merchandising-Artikeln wie Kochschürzen, Abtrockhandtüchern und T-Shirts prangen. Wer das komplette Team kennenlernen will, hat am Abend des 27. Juli beim großen Jubiläum dazu die nächste Gelegenheit.
„‘EAT IT‘ ist viel mehr als die Personen, die jetzt hier stehen.“