Wo Stars wie Billie Eilish oder Größen der regionalen Szene für unvergessliche Nächte sorgen: Unsere Clubtour geht weiter und führt uns über die Zeil bis ins Gutleutviertel zum Silbergold, Nachtleben, Gibson und Tanzhaus West.
Auftakt im Silbergold
Das Silbergold befindet sich in einem Parkhaus hinter dem Amtsgericht an der Konstablerwache. Ansgar Fleischmann, ganz in Schwarz gekleidet und wie so oft mit einer Wollmütze auf dem Kopf, sitzt bei schummrigem Licht auf einem geblümten Sofa. „Ich habe mir erst vor kurzem alte Fotos angeschaut. In den Anfangstagen sah es hier ein bisschen aus wie in einem Jugendzentrum“, erzählt er. Zumindest im kleineren der beiden Räume hat die Einrichtung auch heute noch einen wunderbar verspielten Charakter. Es gibt eine turmhohe Konsole, voll mit verpixelten Retrospielen wie Pac-Man oder Donkey Kong, einen Fotoautomat und einen Tischkicker. „Es gehört zu den Hauptaufgaben eines Clubs, Leute miteinander ins Gespräch zu bringen“, sagt Fleischmann. „Am Kicker geht das besser als auf der Tanzfläche.“ Früher zählte außerdem eine Tischtennisplatte zum Inventar, der sogar eine eigene Partyreihe gewidmet war.
Eröffnet wurde das Silbergold 2007. Seit einem Durchbruch 2011 steht das DJ-Pult im Nebenraum. An der Wand über den Plattentellern hängen Holzwürfel, auf deren Vorderseite sich Filme und Muster projizieren lassen. Unter der Decke dreht sich eine Diskokugel. Die Einrichtung ist puristisch. Nichts soll vom Wesentlichen ablenken. Nach dem Umbau wurde in ein richtig gutes Soundsystem investiert. „Die Anlage ist das Herz eines Clubs. Wenn du hier sparst, sparst du an der falschen Stelle. Weil wir aus der DJ-Ecke kamen, war uns dieser Punkt von Anfang an wichtig.“, sagt Fleischmann.
Aufgelegt wird (hoffentlich bald wieder) Techno, House und Drum 'n' Bass. Die DJs stammen meist aus der Region. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es sich nicht immer lohnt, große Namen zu buchen. Einige liefern einfach nur lustlos ihr Set ab, kassieren eine Menge Kohle und verschwinden damit dann sofort im Hotelzimmer“, sagt Fleischmann. „Weniger bekannte DJs sind musikalisch oft genauso gut.“ Seine eigene DJ-Karriere begann in der Schülerdisko in Gelnhausen, der Stadt, in der er aufwuchs. Durch einen Zufall lernte er im Frankfurter „Clubkeller“ die Geschwister Beatris und Cristiano Monteiro kennen. „Der Inhaber hatte uns alle drei am selben Abend für denselben Slot als DJs gebucht – ein folgenreicher Fehler“, erinnert sich Fleischmann. „Wir haben das Beste aus der Situation gemacht, uns gegenseitig in die Plattenkisten gegriffen und den Abend gemeinsam bestritten. Daraus ist nicht nur eine Freundschaft entstanden, sondern auch ein DJ-Team.“ Als „Les Yper Sound“ bekamen die drei eine Partyreihe im Clubkeller. Später eröffneten sie ihren eigenen Club: das Silbergold. Der Name ist von einem Song der Band Jeans Team inspiriert.
Während Cristiano Monteiro sich weitestgehend aus der Clubszene zurückgezogen hat, legt seine Schwester weiterhin auf. Fleischmann hat zusammen mit den DJs Sassi und Fakir ein neues Trio gegründet: „Lockruf“ nennen sich die drei. Sein eigener DJ-Name lautet grrr! „Wegen Corona hatte ich vergangenes Jahr kaum Gelegenheit, neue Musik zu entdecken“, sagt Fleischmann, der nebenbei im Sachsenhäuser Plattenladen „No. 2“arbeitet. „Da gibt es jetzt viel nachzuholen.“
Weniger bekannte DJs sind musikalisch oft genauso gut.
Im Partykeller des Nachtleben
Kaum ein Frankfurter Club hat eine bessere Verkehrsanbindung: Eine Treppe führt direkt von der S-Bahnstation Konstablerwache vor den Eingang des Nachtleben. Im Erdgeschoss befindet sich das Café mit der halbrunden, gut sortierten Bar. Neben Cocktails gehen hier auch tagsüber Kuchen, Suppen und Salate über den Tresen. Über eine Kellertreppe gelangt man nach unten in den Club, der dank seiner überschaubaren Größe, den niedrigen Decken und der fensterlosen Dunkelheit direkt ein Gefühl von Geborgenheit vermittelt. Auf der Tanzfläche stehen große Kartons, in denen neue Stehtische verpackt waren, die vor kurzem angeliefert wurden. Auch die Barhocker sind neu. Die zusätzliche Bestuhlung ist der Corona-Situation geschuldet.
Links in der Ecke steht ein kleines DJ-Pult. Gegenüber der Bühne gibt es eine zweite Bar, deren Sortiment (Longdrinks, Flaschenbier) sich an ein Partypublikum richtet. Die kleine Garderobe dient gleichzeitig auch als Backstageraum – und als eine Art dreidimensionales Gästebuch: Nicht nur an den Wänden und der Decke, auch auf den Rippen des Heizkörpers, auf den Brettern eines Regals und einer Kühlschranktür prangen unzählige Band-Aufkleber und Graffiti-Tags. Kaum eine Stelle, auf der sich in der knapp dreißigjährigen Clubgeschichte niemand verewigt hat.
1993 wurde der Club von Ralf Scheffler, dem Geschäftsführer der Batschkapp, in den ehemaligen Räumen des Möbelhauses Hess eröffnet. „Das Nachtleben ist die kleine Schwester der Batschkapp“, sagt Adilia Sousa, die seit 1996 dabei ist. „Ich war damals auf der Suche nach einem Nebenjob und habe eine Spätschicht an der Bar übernommen“, erinnert sie sich. „Das hat mir Spaß gemacht. Also bin ich dabei geblieben.“ Heute arbeitet sie im Nachtleben – zusammen mit ihrer Kollegin Sloba Trepalovac – als Schichtleiterin. Im Laufe der Jahre hat das Café immer mal wieder ein neues Farbkonzept verpasst bekommen: Von Blau, über Orange und Rosa/Purpur bis zum heutigen Grau waren die Wände des lichtdurchfluteten Raums schon in den unterschiedlichsten Farben gestrichen.
Mitte der Neunziger war die Blütezeit des Techno. Damals hatte Ata Macias, den man heute als Betreiber des Offenbacher Clubs Robert Johnson kennt, zusammen mit dem DJ Heiko MSO eine beliebte House-Partyreihe mit dem Titel „Wild Pitch Club“ im Nachtleben. Heute gehören (jedenfalls wenn nicht gerade Corona ist) „Atomic“ (eine Indiepop-Party für die queere Szene) und die Gothic-Party „The Dead Kennys“ zu den wichtigsten regelmäßigen Veranstaltungen des Clubs. „Zu den Dead-Kennys-Partys kommt viel Publikum auch von außerhalb der Stadt und nimmt weite Anfahrtswege in Kauf“, erzählt Sousa.
Hin und wieder veranstalten Sousa und Trepalovac auch eigene Partys. Unter der Woche finden Konzerte statt, die von der Bookingagentur der Batschkapp organisiert werden. „Manchmal entscheidet sich erst relativ spät, ob eine Band mit ihrem Publikum eher in die Batschkapp oder in das Nachtleben passt.“ Die „kleine Schwester“ bietet Platz für rund 250 Gäste.
Batschkapp-Chef Ralf Scheffler, den Sousa im Gespräch lächelnd „Big Boss“ nennt, hat hier schon runde Geburtstage gefeiert. Prominentester Gast dürfte wohl der damalige deutsche Außenminister Joschka Fischer, ein Freund Schefflers, gewesen sein. „Früher war er hier schon öfter zu Besuch“, erzählt Sousa. „Ich habe dann immer über die vielen Personenschützer gewitzelt, von denen er umgeben war. Die standen auch draußen auf der Terrasse. Ich habe gesagt, sie sollen sich mal locker machen, weil sie mir sonst noch die ganzen Gäste vergraulen“, erinnert sich Sousa und lacht.
Backstage im Gibson
Eine Nische in einer Häuserreihe, mitten auf der Zeil. Das Kassenhäuschen rechterhand stammt noch aus der Zeit, als das Gebäude ein Kino war. Im Schaufenster gegenüber hängen überlebensgroße Schwarz-Weiß-Fotos von verdienten Gesichtern des „Gibson“: der DJ Oliver Roventa zum Beispiel. Bastian Bernhagen, einer der beiden Geschäftsführer, ist nicht mit auf dem Foto. Dafür steht er leibhaftig neben uns. „Bei uns ist einiges neu“, verspricht Bernhagen, bevor wir eine Treppe nach unten steigen und von einer Empore in den riesigen Club herabblicken: Auf der Tanzfläche stehen Sitzgruppen aus braunem Leder. Ein Laufsteg verbindet die Bühne, auf der bei Konzerten schon Stars wie Billie Eilish oder Dua Lipa aufgetreten sind, mit dem Zuschauerraum. Die Einrichtung wurde für ein sitzendes Publikum unter Corona-Bedingungen entworfen – und soll sich dabei perfekt ins ursprüngliche Ambiente fügen. Weil natürlich trotzdem noch nicht alles beim Alten ist, hat sich das „Gibson“ für die Übergangszeit selbstironisch in „The Club formerly known as Gibson“ umbenannt. Seit Juli ist wieder dauerhaft geöffnet.
Um uns herum wuseln Techniker herum. Es werden Kabel verlegt und Scheinwerfer hin und her bewegt. Ein Tag nach unserem Besuch wird hier die Verleihung des „Live Entertainment Award“ stattfinden. „Heute ist bei uns Großkampftag. Die Jungs machen gleich Ton- und Videoprobe.“, sagt Bernhagen. Um nicht im Weg zu sein, ziehen wir uns in den angenehm klimatisierten Backstagebereich zurück. An den Wänden hängen Konzertplakate. Auf dem Tisch vor dem Ledersofa steht eine große Auswahl an Kaltgetränken bereit.
Nach seiner Ausbildung zum Versicherungskaufmann studierte Bernhagen zunächst Risikomanagement. „Dann habe ich aber doch einen anderen Weg eingeschlagen“, erzählt er. „Einen sehr schönen Weg.“ Bereits neben dem Studium arbeitete er in Clubs: Seine erste Station war der „Paramount Park“ in Rödermark. Später organsierte Bernhagen für die Frankfurter Agentur „Envy“ Partys in Off-Locations. Im King Kamehameha Beach Club auf der Spitze der Offenbacher Hafeninsel kümmerte er sich um die Gastronomie und stieg schon bald in die Geschäftsführung mit ein. Das war seine erste Zusammenarbeit mit „Kinka“-Gründer Madjid Djamegari. „Menschen treffen, gemeinsam Spaß haben, Dinge organisieren“, das ist es, was ihm an seinem Job so gefällt.
Seit 2012 betreiben Bernhagen und Djamegari zusammen das „Gibson.“ Wo seitdem getanzt wird, befand sich früher der größte Vorführsaal der „Zeil-Kinos“. „Als wir das Gebäude übernommen haben, hing dort hinten noch die riesige Leinwand“, erinnert sich Bernhagen und deutet Richtung Bühne. Unter Normalbedingungen passen rund 1200 Gäste in den Club. Live-Musik war von Anfang an ein wichtiger Bestandteil des Programms. Freitag und Samstag gibt es Partys, unter der Woche spielen Bands. Der Donnerstag ist der hauseigenen Combo „Urban Club Band“ vorbehalten. „An diesem Grundkonzept hat sich seit der Eröffnung im Grunde nichts geändert“, versichert Bernhagen. Die Betreiber des „Gibson“ nehmen immer mal wieder neue Projekte in Angriff. „Gerade in der Pandemie hat sich gezeigt, dass sich auf einem Bein alleine schlecht steht“, erklärt er. Aktuell sind Beach-Clubs in Maintal-Bischofsheim und Babenhausen in Planung. Wirklich spruchreif ist das bei unserem Besuch aber noch nicht. Fakt ist hingegen: Ab 1. August bespielt das Gibson mit einem Pop-Up-Beach den Frankfurter Opernplatz. Sofern das Wetter mitspielt, bleibt er dort bis Mitte Oktober.
Gerade in der Pandemie hat sich gezeigt, dass sich auf einem Bein alleine schlecht steht.
Im Sommergarten des Tanzhaus West
Wir sind zu Besuch auf dem Gelände der ehemaligen Farbenfabrik Dr. Carl Milchsack im Gutleutviertel. Hier stehen Industriehallen, die über und über mit Efeu und Graffiti bedeckt sind. Die Club-Managerin Nina Schulz führt uns durch dunkle, verwinkelte Flure, die vier Tanzflächen unter einem Dach und einen „Sommergarten“ zu einem Rundgang von eindrucksvoller Länge verbinden. „Es gibt Leute, die verbringen hier ganze Nächte – und verlaufen sich trotzdem, wenn sie zum ersten Mal tagsüber bei uns sind“, erzählt sie. „Im Putzlicht wirkt alles ganz anders.“ Auf der größten Tanzfläche des „Tanzhaus West“ stapelt sich bei unserem Besuch elektronisches Equipment bis unter die Decke.
Überbleibsel jener aufwändigen Set-Ups, die vor kurzem während des Lockdowns bei „United we Stream“ zum Einsatz kamen. Die europaweite Initiative zur Rettung von Clubs und Musikspielstätten wurde von der Clubcommission Berlin gestartet und für den Raum Frankfurt vom Netzwerk „Clubs am Main“ durchgeführt, deren Vorsitzender „Tanzhaus“-Betreiber Matthias Morgenstern ist. „Hier war die Schaltzentrale“, sagt Schulz. Morgenstern hat das Tanzhaus West 2003 eröffnet. Sechs Jahre später kam gleich nebenan der kleinere Club Dora Brillant dazu. Schulz war fast von Anfang an mit dabei. Kurz nach der Eröffnung des „Tanzhaus“ begann sie eine Ausbildung bei jener Agentur, die damals für das Marketing verantwortlich war. Später studierte sie Kulturmanagement. Aufgewachsen ist sie an der Nordseeküste und im Taunus. „Mit 18 bin ich zusammen mit meinen zwei besten Freundinnen nach Frankfurt gezogen“, erinnert sie sich.
In der „Dora“ wird – wenn nicht gerade Corona ist – meist House aufgelegt, während im „Tanzhaus“ elektronische Musik der etwas härteren Gangart gespielt wird. Dank der niedrigen DJ-Pulte legen die internationalen DJs hier auf Augenhöhe mit dem Publikum auf. Die beiden Clubs sind ein weitgehend hierarchiefreier Raum der Subkultur, an dem soziale Gegensätze keine Rolle spielen, erzählt Schulz. „Das finde ich spannend.“ Schon seit einigen Jahren läuft auf dem Milchsackgelände aber längst nicht nur Techno. „Es war uns wichtig, einen vielfältigen Kulturmix zu etablieren“, sagt Schulz. „Eine Woche hat schließlich sieben Tage. Warum also nicht auch die Zeit außerhalb des Wochenendes für Veranstaltungen nutzen? Oder samstags, bevor die Party beginnt, eine Band auftreten lassen?“ Ein buntes Programm findet nun auch unter einer Dachkonstruktion aus mehreren Sonnensegeln im bestuhlten „Sommergarten“ statt.
Bis Oktober sind unter Corona-Bedingungen 42 Live-Konzerte geplant. Samstags legen beim „Club Picknick“ DJs auf. Außerdem gibt es eine Bühne, die vom Off-Theater „Landungsbrücken Frankfurt“ bespielt wird, das sich gleich nebenan befindet. Auch Künstler*innen, die auf dem Milchsackgelände ihre Ateliers haben, beteiligen sich. In den vergangenen Jahren gab es immer mal wieder Befürchtungen, das 10.500 Quadratmeter große Areal könnte Spekulanten in die Hände fallen, die – anders als der bisherige Eigentümer – eher nichts mit Kultur am Hut haben. „Die Investoren standen hier schon mit dicken Geldkoffern bereit“, erzählt Schulz. Deren Pläne sind nun aber vom Tisch. „Eine Immobilienfirma hat das Gelände inzwischen gekauft und möchte es als Kulturstandort erhalten und ausbauen.“
Die Investoren standen hier schon mit dicken Geldkoffern bereit.
Clubwalk
DISTANT BODIES DANCING EYES
9. bis 11. Juli 2021, GIBSON, HAFEN 2, LOLA MONTEZ, NACHTLEBEN, ROBERT JOHNSON, SILBERGOLD, TANZHAUS WEST und YACHTKLUB