Neugierige Figuren aus Kupferdraht, die verblüffend menschlich wirken. Künstlerpaar Carolin Liebl und Nikolas Schmid-Pfähler baut Skulpturen mit faszinierendem Eigenleben.
Eine ehemalige Wäscherei in einem Offenbacher Wohngebiet. „Reinigungsannahme“ steht noch immer auf dem Schild über dem Eingang, was hin und wieder für Verwirrung sorgt. Manchmal klopfen Leute an die Tür des lang gestreckten Gebäudes mit den blickdichten Fenstern und wollen ihre schmutzigen Klamotten abgeben.
Zusammen mit acht weiteren Künstlern sind Carolin Liebl und Nikolas Schmid-Pfähler im Mai 2019 hier eingezogen. Zur Ateliergemeinschaft gehören offene Räume mit breiten Durchbrüchen. „Ein typisches Atelierhaus, in dem jeder sein abgeschlossenes Zimmer hat, wäre nicht so unser Ding gewesen“, erklärt Liebl. Auf einem Werkstatttisch steht eine Schale mit frischem Obst und Gemüse. „Greift ruhig zu!“, sagt Schmid-Pfähler und beißt in eine Karotte.
Die Skulpturen erinnern an Regenwürmer oder menschliche Muskel
Das Künstlerduo baut und programmiert Roboter und kinetische Skulpturen. Auf den ersten Blick wirken ihre Geschöpfe oft sehr technisch und reduziert. Dann kommt plötzlich durch eine bestimmte Bewegung ein irritierendes und manchmal auch sehr poetisches Moment ins Spiel. „Amplified Entity“ heißt eines dieser Wunderwerke: eine lange Spirale aus Kupferdraht.
Sobald Strom hindurchfließt, fangen einzelne Windungen an zu zucken und pulsieren. Man fühlt sich an einen Regenwurm erinnert oder an einen menschlichen Muskel. Eine neuere Arbeit ist ähnlich minimalistisch: Sie besteht aus drei Drähten, die zwischen zwei Metallbolzen gespannt an einer Wand im Atelier hängen und auf Temperatur reagieren. Sobald sie warm werden, entwickeln sie ein faszinierendes Eigenleben. „Strom sinnlich wahrnehmbar zu machen – das ist eines unserer Hauptanliegen“, sagt Schmid-Pfähler. Er und Liebl, die übrigens auch privat ein Paar sind, lernten sich an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung kennen, wo sie sich in den Klassen von Ulrike Gabriel und Julika Rudelius mit elektronischen Medien beschäftigten. Anfangs nutzen sie Displays, Monitore und Video-Beamer für ihre Arbeiten. „Irgendwann war uns der Bildschirm als Ausdrucksmittel aber nicht mehr genug und wir entdeckten die Robotik für uns.“
Ihre erste gemeinsame Arbeit hieß „Vincent und Emily“: zwei Roboter mit schlanken, hohen Federstahlkörpern, die – nach einem Update im vergangenen Jahr – mit Hilfe von Wärmebildkameras und Infrarot-LEDs miteinander kommunizieren und auf ihre Umwelt reagieren. „Die beiden sind exakt baugleich“, verrät Liebl. Dass wir sie trotzdem als Individuen betrachten, die miteinander flirten oder streiten, liegt auch an unserer Erwartungshaltung. Und an der simplen Tatsache, dass sie menschliche Vornamen haben. Sämtliche Bauteile für ihre Arbeiten fertigen Liebl und Schmid-Pfähler in ihrer Werkstatt selbst an.
Strom sinnlich wahrnehmbar zu machen – das ist eines unserer Hauptanliegen.
Der Maschinenpark, der uns umgibt, ist entsprechend eindrucksvoll. Es gibt ein Ätzbad zur Herstellung von Platinen, deren Schaltpläne am Computer entworfen werden. Außerdem eine Drehbank. Und eine große Presse, die Aluminiumbleche für Metallgehäuse zurechtbiegt. An anderen Geräten wird gebohrt, gesägt, geschweißt oder gelötet.
In Zukunft wollen sie die Plastikabfälle wiederverwerten
Wenige Tage vor unserem Besuch ist das Künstlerduo von einem Aufenthalt in Wales zurückgekommen. Drei Wochen lang waren sie als Artists in Residence an der Cardiff School of Art and Design. In einem Forschungslabor trieben sie dort die Entwicklung einer Maschine voran, mit deren Hilfe man Plastik recyceln kann. „Wir haben mit PET-Flaschen experimentiert“, erklärt Liebl. „In Großbritannien gibt es ja kein Pfandsystem.“ Die Idee: Das Plastik wird in einer Art Stahlrohr erhitzt, eingeschmolzen und kann anschließend in jede beliebige Form gegossen werden. In Zukunft wollen die beiden Plastikabfälle, die in ihrer Werkstatt anfallen – und oft zu teurem Materialverlust führen – wiederverwerten.
Während Liebl und Schmid-Pfähler hier renovierten, konnten sie ihre Werkstatt nicht benutzen und haben sich viel mit Materialforschung beschäftigt. Zusammen mit einem befreundeten Bildhauer experimentierten sie mit 3D-Druckern. Dabei sind zum Beispiel die lichtscheuen „Siblings“ entstanden: Schmid-Pfähler lüftet einen schwarzen Keramikbecher, der mit der Öffnung nach unten in einem Regal steht. Mit einem ratternden Geräusch, das ein bisschen nach Protest klingt, wuselt ein kleiner Spielzeugroboter mit Plastikkörper davon wie ein Insekt auf der Flucht. Seine Sensoren reagieren auf Licht.
Die Arbeiten und ihre Schöpfer sind oft auf Reisen. In Breslau, Dubai, Barcelona oder Bilbao waren sie schon an Ausstellungen beteiligt. Gerade ist eine Schau in Venedig zu Ende gegangen. Im November soll es nach Rom gehen. Die Szene für Medienkunst ist relativ klein. „Dadurch sieht man sich häufiger und bleibt in Kontakt“, sagt Schmid-Pfähler.
Die beiden erzählen von ihrer ersten Einzelausstellung, die vor einem Jahr in Mainz stattfand. 100 Quadratmeter galt es zu bespielen. Die große Herausforderung sei es gewesen, dass sich ihre Geschöpfe nicht gegenseitig die Schau stehlen. Wenn sich in jeder Ecke etwas bewegt, könnte die subtile Wirkung der Werke verloren gehen – so lautete die Sorge. „Unsere Arbeiten sind eher langsam und leise“, sagt Liebl. „Sie sollen den Betrachter nicht entertainen.“
Im Atelier ist inzwischen auch so einiges los: Vincent und Emily neigen hin und wieder neugierig ihre Roboterköpfte zu uns herab. Die drei „lebendigen“ Metalldrähte an der Wand winden sich in einem Rhythmus, der angenehm beruhigend wirkt. Und dann gibt es da noch eine Skulptur namens „Es“, die aus einer Reihe von Elektromagneten besteht und sich mit einem deutlich hörbaren Klackern so sprunghaft und unerwartet bewegt wie ein Reptil. Wir sind auch schon auf dem Sprung. Draußen vor der Tür herrscht herbstlicher Nieselregen. „Wir gehen heute Nachmittag im Wald noch Pilze sammeln“, erzählt uns Liebl zum Abschied. „Daraus wird aber kein Kunstprojekt, oder?“ frage ich. „Nein, ein kulinarisches.“
Sie sollen den Betrachter nicht entertainen.