Kurzfilmerin und Komponistin Brenda Lien ist noch Studentin und hat bereits den wichtigsten Preis der Branche gewonnen. Ein Gespräch über Gleichberechtigung und warum Serien süchtig machen.
In Brenda Liens Dachwohnung, acht Stockwerke über dem Frankfurter Bahnhofsviertel, ist vom lebhaften Treiben unten auf der Straße ziemlich wenig zu spüren. Sanft prasseln Regentropfen auf die schrägen Fenster. Die Filmemacherin und Komponistin brüht Kaffee auf und füllt Wasser in ein Glas mit Flamingo-Motiv. Wir setzen uns an einen langen Tisch im Arbeitszimmer. An den Wänden kleben unzählige dicht beschriebene Post-It-Zettel, die in der Summe das Drehbuch zu einem Kurzfilm mit dem Titel „Erst die Arbeit, dann das Spiel“ bilden, an dem Lien gerade arbeitet.
„Er handelt von einer Musikerin, die unter Burnout leidet und mit dem Leistungsdruck zu kämpfen hat, den sie sich selbst auferlegt“, erzählt sie. Es geht es um die negativen Auswirkungen einer „Hustle Culture“, die Arbeit als Selbstzweck verklärt. Und um fragwürdige Bewegungen wie „Fitspiration“, durch die Menschen dazu animiert werden, sich in den sozialen Medien als besonders fit und leistungsstark zu präsentieren. Anfang des nächsten Jahres sollen die Dreharbeiten beginnen. Der Film wird Liens Abschlussarbeit an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung.
Brenda Lien versteht sich als feministische Filmemacherin
Die 24-jährige Studentin als junges Talent zu bezeichnen, wäre fast eine Untertreibung. Gemessen an ihren Erfolgen, ist sie in der Kurzfilmszene längst eine große Nummer. Alle drei Teile ihrer „Call of…“-Reihe, die eine kritische Auseinandersetzung mit YouTube-Phänomenen wie Schmink-, Katzen- und Entspannungsvideos war, liefen auf renommierten Festivals oder wurden mit bedeutenden Preisen ausgezeichnet.
Der Animationsfilm „Call of Cuteness“ schaffte es 2017 ins Programm der Berlinale. Der Nachfolger „Call of Comfort“ gewann ein Jahr später den „Deutschen Kurzfilmpreis“ – die wichtigste Auszeichnung, die hierzulande in dem Genre vergeben wird. Lien versteht sich als feministische Filmemacherin. Sie ist Mitglied im Netzwerk „Pro Quote Film“ und engagiert sich für mehr Gleichberechtigung in der Branche. „Weibliche Talente werden oft nicht ausreichend gefördert“, sagt sie.
Bei der Produktion ihrer Filme arbeitet sie am liebsten ausschließlich mit weiblichen und „non-binären“ Personen zusammen. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass du dich als weiblich gelesener Mensch vor männlich sozialisierten Menschen dauernd neu beweisen musst, um ernst genommen zu werden.“ Lien verwendet ganz selbstverständlich und völlig unaufdringlich gendergerechte Sprache – auch in unserem Gespräch. Sie macht zum Beispiel deutlich wahrnehmbare Pausen vor dem Gender-Gap, wenn sie von „Frankfurter-innen“ oder „Banker-innen“ redet.
Ursprünglich wollte sie Musikerin werden. In ihrer Freizeit übte sie täglich stundenlang Klavier. Als sie nach der elften Klasse die Schule abbrach und sich für ein Studium an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach (HfG) entschied, war das wie ein Befreiungsschlag. Ihr gefiel, dass man sich dort relativ ungezwungen auf verschiedenen Feldern der Kunst ausprobieren konnte. „Ich brauchte eine Weile, um Malerei, Zeichnen und Fotografie für mich auszuschließen“, erzählt sie. „Erst dann konnte ich mich voll und ganz auf das Filmemachen konzentrieren.“
Erst dann konnte ich mich voll und ganz auf das Filmemachen konzentrieren.
Auf dem E-Piano im Wohnzimmer liegen Noten von Chopin. Rings um ihren Computerarbeitsplatz mit den zwei nebeneinander angeordneten Monitoren sind weitere Instrumente verstaut: eine Geige und eine Bratsche zum Beispiel. Seit rund einem halben Jahr spielt die Musik wieder eine größere Rolle in Liens Leben – nicht nur als Soundtrack zu ihren Filmen, den sie grundsätzlich selbst komponiert. Unter dem Namen „Karoshi“ (japanisch für „Tod durch Überarbeitung“) bastelt sie an experimentellen Synthesizer-Sounds, die sie demnächst über die Plattform „Bandcamp“ veröffentlichen will. Außerdem plant sie ein Singer-Songwriter-Album.
Aus ihrem Diplomprojekt soll später auch einmal ein Langfilm hervorgehen
„Es ist wahnsinnig schwierig, mit Kurzfilmen Geld zu verdienen“, sagt Lien. Für viele Künstler sei das Format deshalb oft bloß ein Sprungbrett in Richtung Langfilm. Aus ihrem Diplomprojekt „Erst die Arbeit, dann das Spiel“ soll später auch einmal ein Langfilm hervorgehen. Der Plan: Wenn ihr Kurzfilm sich bewährt, ist die Filmförderungsstelle eher bereit dazu, den thematisch verwandten Langfilm finanziell zu unterstützen.
„Eigentlich sollte man denken, dass Kurzfilme perfekt in eine Zeit passen, in der auch die Aufmerksamkeitsspanne des Publikums immer kürzer wird. Seltsamerweise gucken die Leute heute aber viel lieber Serien, die im Grunde nichts anderes als acht Stunden lange Filme sind“, wundert sich Lien – und hat auch gleich eine Vermutung parat: „Statt sich immer wieder auf neue Geschichten einzulassen, möchten Zuschauerinnern vielleicht lieber in eine andere Welt abtauchen und sich in einen nicht enden wollenden Flow begeben.“
Wir kommen auf aktuelle Serien wie „Bad Banks“ und „Skylines“ zu sprechen, denen Lien ziemlich kritisch gegenübersteht („sie fühlen sich für mich an wie Stadtaufwertungsprojekte und treiben letztlich die Gentrifizierung voran“) und in denen Frankfurt als Ort der krassen sozialen Gegensätze inszeniert wird – mit den den mächtigen Bankentürmen und dem Rotlichtviertel als Kulisse. Nirgendwo in der Stadt sind sie so deutlich spürbar wie bei Lien direkt vor der Haustür, wo wir uns – nach einem großartigen Blick auf die Skyline aus dem Treppenhausfenster – im Nieselregen bald wieder unter die Passanten mischen.
Eigentlich sollte man denken, dass Kurzfilme perfekt in eine Zeit passen, in der auch die Aufmerksamkeitsspanne des Publikums immer kürzer wird.