Stars des deutschen Arthousekinos spielen in den preisgekrönten Filmen von Piotr J. Lewandowski ebenso mit wie Tatort-Kommissar*innen. In seinem neuesten Film geht es um ein unbequemes Thema: sexualisierte Gewalt gegenüber Männern.
„Seid ihr Papparazzi? Das hab ich ja noch nie erlebt“, scherzt Piotr J. Lewandowki als er uns in einem Gebüsch aufstöbert, wo wir gerade damit beschäftigt sind, eine verwitterte Schautafel abzufotografieren, die sich der heimischen Tierwelt widmet. Wir sind mit ihm am Rande einer Schrebergartenkolonie verabredet – ganz in der Nähe der Offenbacher Stadthalle, wo der Bach von Gravenbruch von hohen Bäumen überschattet in den Hainbach fließt. „Ich wohne in der Nähe und bin gerne in der Natur“, sagt Lewandowski, der mit Stoffrucksack, Sonnenbrille und blitzblanken Sneakern ausgerüstet am vereinbarten Treffpunkt erscheint. „Das viele Grün gibt mir Hoffnung und Energie.“
Eigentlich hatten wir ihm einen Abstecher zu den Offenbacher Locations seines Films „König der Raben“ vorgeschlagen. Als Gegenangebot hatte er die Idee zu einem Waldspaziergang. „Ich habe keine emotionale Bindung zu ehemaligen Drehorten. Das sind zwar Orte, an denen ein Film Gestalt annimmt, aber die Ideen entstehen ganz wo anders“, erklärt er uns. „Außerdem bin ich schon längst zwei Projekte weiter.“
Poetischer Realismus
Sein neuester Film heißt „Unspoken“. Er handelt von einem Musiker (gespielt von Hennig Flüsloh), der nach einem Gig in einer Bar sexuelle Gewalt erfährt und daraufhin seine Stimme verliert. Nicht nur seine beginnende Karriere, sondern auch die Beziehung zu seiner Freundin (Henriette Confurius) droht zu zerbrechen. Finanziert hat ihn Lewandowski aus eigener Tasche – mit Hilfe einer Produktionsfirma, die er gemeinsam mit Oliver Becker und Carsten Strauch gegründet hat. „Wir haben vom Land Hessen leider keine Produktionsförderung bekommen. Das war absolut tragisch. Mein Team und ich wollten diesen Film unbedingt realisieren, da wir das Thema äußerst aktuell und relevant finden. Zur Not hätte ich ihn mit der Handy-Kamera gedreht.“ Eine kleine Unterstützung gab es dann doch durch das Branchenqualifizierungs- und Weiterbildungsprogramm STEP der Hessischen Filmförderung. Gedreht wurde in Hessen und Berlin.
Lewandowski geht gerne unbequeme Themen an. Im Spielfilmdebut „Jonathan“ ging es um Homosexualität, Lebenslügen, Krebs und Tod. In „König der Raben“ wird einem jungen Mazedonier ohne Aufenthaltsgenehmigung (Malik Blumenthal) die Liebe zu einer lebensmüden Deutschen (Antje Traue) zum Verhängnis. Lewandowski macht definitiv kein Popcornkino. Deprimierend oder kopflastig wirken seine Filme allerdings nie. „Ich arbeite gerne mit Kontrasten. Wenn ein Thema schwer ist, versuche in es so auszubalancieren, dass es für das Publikum erträglich wird.“ Poetischer Realismus, so lässt sich das Ergebnis vielleicht beschreiben.
Dass er die großen Stars des deutschen Arthouse-Kinos für seine vielfach preisgekrönten Filme (für „Jonathan“ gab es zum Beispiel den Publikumspreis des Festivals des deutschen Films) gewinnen konnte – davon macht Lewandowski nicht viel Aufhebens. „Mir geht es immer darum, mit talentierten Menschen zusammenzuarbeiten. Manchmal sind sie eben bekannt und manchmal nicht. Das Herz und die Seele müssen am richtigen Fleck sein." Mit Sandra Hüller, Barbara Auer, Julia Koschitz und Jannis Niewöhner hat er bereits gedreht. Als Mitwirkender in drei seiner Filme ist André Hennicke inzwischen fast schon so etwas wie ein Stammschauspieler. Richy Müller und Felix Klare standen beim Stuttgarter Tatort „Hüter der Schwelle“ vor der Kamera, bei dem Lewandowski Regie führte. Mit Axel Milberg in der Hauptrolle hat Lewandowski vergangenes Jahr für den NDR die Komödie „Meine Freundin Volker“ inszeniert. Milberg spielt darin eine Drag Queen auf der Flucht. Die TV-Premiere ist für kommendes Jahr geplant.
„Wenn ein Drehbuch gut ist, dann spielt es für mich keine Rolle, ob es sich um ein Drama oder eine Komödie handelt“, sagt Lewandowski. Wir sind inzwischen auf einer Lichtung im Wald angekommen. Ein breiter Bach fließt knöcheltief durch eine Senke zwischen laubbedeckten Hügeln. Lewandowski balanciert auf abgestorbenen Ästen über das Wasser, um sich für ein Foto auf eine breite Wurzel mitten im Bach zu setzen. Für einen kurzen Moment macht man sich Sorgen um seine blitzblanken Sneaker.
Freunde empfahlen ihm die HfG Offenbach
„Als Regisseur bin ich ein Spätzünder“, erzählt er. „Auch, weil mir früher die Ressourcen fehlten. Schon eine einfache Fotokamera war für mich ein Luxusgegenstand. Filme zu machen – das war so unglaublich weit weg von meinem Alltag, dass ich mir das im Traum nicht vorstellen konnte.“ Aufgewachsen in Polen, lebte Lewandowski Mitte der Neunzigerjahre in London. Deutsche Freunde empfahlen ihm die Offenbacher Hochschule für Gestaltung. „Sie sagten: Du kannst zeichnen. Man merkt, dass du ein Künstler bist. Also habe ich eine Mappe zusammengestellt und von London nach Offenbach geschickt. Wie ich die Aufnahmeprüfung bestanden habe, kann ich mir bis heute nicht erklären. Ich habe damals kaum ein Wort Deutsch gesprochen.“
An der HfG beschäftigte sich Lewandowski vor allem mit Trickfilm. „Das hat mir unglaublich viel Spaß gemacht. Später habe ich gemerkt, dass es mir noch viel mehr Spaß macht, mit Menschen zu arbeiten, statt alleine im Zimmer zu sitzen und zu zeichnen. Ich mag die Stimmung am Set, den magischen Moment, wenn der Stoff vom Papier auf die Leinwand kommt.“ Als Co-Regisseur realisierte er an der Seite von Carsten Strauch, der damals auch an der HfG studierte, die Comedy-Serie „Götter wie wir“, die 2012 auf ZDF-Kultur ausgestrahlt wurde. Später wechselte Lewandowski an die Filmakademie in Ludwigsburg, um dort seinen Abschluss zu machen. „In Offenbach habe ich große Unterstützung erfahren, doch irgendwann bin ich dort an meine Grenzen gestoßen, weil Film dort eben nur ein Schwerpunkt unter vielen ist.“
Sie sagten: Du kannst zeichnen. Man merkt, dass du ein Künstler bist. Also habe ich eine Mappe zusammengestellt und von London nach Offenbach geschickt.
So langsam kommen wir zum Ausgangpunkt unserer Runde zurück. Flugzeuglärm mischt sich in das Vogelgezwitscher über den Wald am Offenbacher Stadtrand. „In Offenbach gibt es viele gute Locations, die noch unentdeckt sind und an denen ich gerne einmal drehen würde“, sagt Lewandowski. „Bloß die tief fliegenden Flugzeuge sind für jeden Dreh ein Alptraum.“
Ideen hat er viele. Zum Beispiel eine Bromance zwischen zwei Männern, die durch die Frau des einen auf die Probe gestellt wird. „Das Projekt möchte ich seit langem schon mit einem Kollegen in Polen realisieren. Die politische Stimmung dort ist queeren Menschen gegenüber, um es vorsichtig zu formulieren, leider nicht sehr offen.“ Außerdem arbeitet Lewandowski an einer Science-Fiction-Serie. Wirklich spruchreif ist das Ganze aber noch nicht. Der Film „Unspoken“ befindet sich inzwischen in der Schnittphase. Wenn er fertig ist, soll er im Programm eines internationalen Festivals laufen. So lautet der Plan. „Wenn das passiert, haben wir gute Chancen, einen Filmverleih zu finden.“