In Gery Georgievas performativen Selbstinszenierungen verschmelzen Folklore und Pop, Tradition und Kitsch, Körper und Identität. Im Double Feature am 26. Februar stellt sie drei Videoarbeiten vor.

Gänzlich einsam steht eine junge Frau in einer verschneiten Berglandlandschaft. Gekleidet in volkstümlich anmutender Kleidung mitsamt Kopfschmuck hat sie stolz die Arme in die Hüfte gestemmt. In die stille und menschenleere Natur hinein beginnt sie nach einigen Augenblicken mit einem expressiven Tanz, lediglich das dumpfe Rascheln des Kleiderschmucks ist zu hören. Die Frau, das ist Gery Georgieva (*1986), und auch ohne Musik kann der Pop geschulte Betrachter erraten, was hier performt wird: Beyonces Hit „All The Single Ladies“ von 2008.

Das zu einiger Berühmtheit gelangte Spektakel lässt sich auf YouTube unter dem Namen „Rodopska Beyonce (Autoethnography II)“ ansehen, es hat gut 89.000 Klicks erreicht. Ethnografie, Folklore und Popmusik? Man kann Georgieva, die ihren Tanz 2013 online stellte, einiges an Voraussicht zusprechen: Bei der letztjährigen Grammy-Verleihung wurde Beyonces Kostümwahl als Reminiszenz an Oshun verstanden, der afrikanischen Fruchtbarkeits-Göttin der Yoruba - ein Symbol für Fruchtbarkeit, Schönheit und Sexualität und Schutzpatronin des Osun-Flusses.

Folklore und Pop

In den Arbeiten der bulgarischstämmigen Gery Georgieva taucht das Verbindungspaar Folklore und Popmusik immer wieder auf. In „Balkan Idol“ betritt sie, wiederum in ein folkloristisches Kostüm gekleidet, das Busludscha-Denkmal auf dem Gipfel des Chadschi Dimitar-Berges. Das 1981 zur 1300 Jahr-Feier der bulgarischen Staatsgründung eröffnete, architektonisch überaus eindrucksvolle Gebäude – erbaut zu Ehren der sozialistischen Bewegung Bulgariens – ist mittlerweile stark heruntergekommen und sowohl dem Zahn der Zeit als auch der mutwilligen Zerstörung preisgegeben. In der lichtdurchfluteten Halle stimmt Georgieva einen Folklore-Gesang an, schneidet dann um in einen Nachtclub, in dem sie zu einem Beatgewitter tanzt, während der Nachhall ihres Gesangs aus dem Busludscha-Denkmal noch zu hören ist. Drei Zeitebenen, drei Kulturentwürfe werden hier ineinander verwoben: der Folklore Gesang, der auf vergangene Zeiten und Tradition rekurriert, die kommunistischen Ideale, die dem Verfall anheimfallen und der Kitsch der Tschalga-Popmusik, wiederum ein Melange diverser Musikstile des Balkans und des arabischen Raums, deren inhaltlichen Schwerpunkt man wohl mit Sex, Geld und Liebe zusammenfassen könnte.

Gery Georgieva, Rodopska Beyonce (Autoethnography II)

In „Polythene Queen“ rollerskatet die Künstlerin, gehüllt in ein selbstgemachtes Plastikkleid, durch ihr Atelier und singt lippensynchron zu einer Schmachtballade mit. Auf der Rückwand projizierte Aufnahmen von Souvenirartikeln aus einem britischen Shop reflektieren immer wieder auf Georgievas Kleidung und Körper. In „Blushing Valley“ wiederum begegnet sie uns als tanzende Rosenkönigin, unterlegt mit einem Tonmittschnitt des Rosen-Festivals im bulgarischen Kasanlak, vor der wunderschönen Landschaft des Rosentals, bedeutendste Anbauregion von ebenjenem Rosenöl.

Was ist das, Tradition?

Georgievas Auftreten in den Arbeiten rückt in gewisser Maßen eine Art Stellvertreter-Prinzip von Folklore und Volkstümlichkeit in den Vordergrund: Während jede Sitte und jeder Brauch spezifische Hintergründe haben, gleichen diese sich jedoch von Kultur zu Kultur in ihren Codes und grundsätzlichen Repräsentationen so stark, dass sie austauschbar scheinen. Für den Betrachter sind diese zwar klar erkennbar – wenn auch nicht unbedingt verständlich. In einer globalisierten Welt werden sie aber hinsichtlich ihres inhaltlichen Gehaltes viel eher Ausdruck eines spezifischen Authentizitätsgefühls. Dessen Ursprung ist heute, wenn überhaupt, kaum mehr zu erfahren: Tradition ist Tradition, weil Tradition. So gesehen gestaltet Tradition heute im geringeren Maße das Individuum, vielmehr individuiert sich der Einzelne selbst aktiv durch Codes durch Tradition. Wie Gery Georgieva unlängst im Gespräch mit Broadly zusammenfasste: „For me folk culture is a weird marker of authenticity“.

Gery Georgieva, Polythene Queen, 2017, Video still © the artist

Als Lieblingsfilm hat sich Gery Georgieva „Beau Travail“ („Der Fremdenlegionär“) von Claire Denis ausgesucht. Der 1999 erschienene Film befasst sich mit einer Gruppe junger Legionäre, die am Golf der Republik Dschibuti stationiert sind. Feldwebel Galoup (Denis Lavant) geht gänzlich auf in einem Leben, das einzig und allein aus Militärübungen und Ausdauertraining zu bestehen scheint. Er genießt die Wertschätzung seiner Untergebenen und empfindet tiefe Bewunderung für seinen Kommandanten Bruno Forestier (Michael Subor). Als der junge Soldat Gilles Sentain (Grégoire Colin) der Legion beitritt, sieht Galoup das streng eingespielte Gefüge der Gruppe einschließlich seiner eigenen Stellung bedroht und beschließt, den jungen Soldaten loszuwerden.

Video Still aus Beau Travail, Claire Denis, 1999, Image via: bfi.org.uk

„Beau Travail“ ist angelehnt an Hermann Melvilles Erzählung „Billy Budd“ – mittlerweile Klassiker der Queer Studies. Mehrere Szenen sind mit Teilen aus Benjamin Brittens gleichnamiger Oper unterlegt. In ruhigen, langen Sequenzen zeigt Denis den Alltag der Legionäre und deren Übungen, die sie wie modernen Tanz inszeniert. Der männliche, soldatische Körper erscheint hier in der dem Militär innewohnenden homoerotischen Konnotation eher melancholisch denn als faschistoides Staatseigentum: Der Sinn und Zweck der Legionärsgruppe ist kaum nachvollziehbar und scheint mehr dem einer Selbsthilfegruppe als der staatlich organisierten gewaltsamen Durchsetzung von politischen Zielen zu dienen.

Popmusik: Folklore der Jetztzeit

So ist die Bedrohung, die Galoup durch den Neuankömmling Sentain empfindet, auch absolut. Um sich Liebe und Anerkennung zu sichern, steht ihm nur noch der sinnbildliche biblische Brudermord offen. Am Ende ist es dann in „Beau Travail“ aber die Popmusik: Folklore der Jetztzeit, die Galoup zum erlösenden und nahezu transzendierenden Moment der Selbstverwirklichung verhilft.

Video Still aus Beau Travail, Claire Denis, 1999, Image via blueprintreview.co.uk