Im Spessart, nicht weit von Aschaffenburg, betreiben Johanna Stemmler und Friedrich Gräfling den Kunstverein Wiesen. In der Ausstellung „Soft Costs“ dreht sich alles um die grenzenlose Gier. Ein Ausflugstipp.
Man fährt durch Wald, Wald und Wald. Das Sonnenlicht fällt durch den Blätterteppich, nach einer Kurve sieht man den Ort. Wiesen in Unterfranken, etwa 1000 Einwohner, ein Dorfladen, ein Wirtshaus, das „Spessart-Einkehr“ heißt, Rathaus und Kirche, verschlafen und wunderschön. Von Frankfurt etwa 60 Kilometer entfernt, aber doch eine ganz andere Welt. In der Mitte von Wiesen liegt ein altes Jagdschloss der Mainzer Kurfürsten, ein Renaissancebau. Der, der das Haus gekauft hat, arbeitet seit beinahe 20 Jahren daran, das Anwesen so detailgetreu wie möglich zu renovieren. Die einzelnen Zimmer sollen jeweils im Stil einer Epoche aus der Geschichte des Hauses ausgestattet werden, es ist eine Sisyphosaufgabe.
In dieser Mischung aus Wunderkammer und Baustelle betreiben zwei Frankfurter, Friedrich Gräfling und Johanna Stemmler, seit einiger Zeit einen Kunstverein mit ambitioniertem Programm. In dem Jagdschloss in Wiesen, das der Familie von Friedrich Gräfling gehört, in den Zimmern im Zwischenzustand, haben sie schon Arbeiten von Douglas Gordon, Alicja Kwade oder Jeppe Hein ausgestellt. Einen außergewöhnlicheren Kunstverein als den in Wiesen kann man sich schwer vorstellen. „Soft Costs“ heißt die aktuelle Ausstellung. Sie ist Teil eines größeren Projekts der Künstlerin Benedikte Bjerre, das den Titel „Money over World“ trägt.
Schlagersänger, Elefant und Zebra treten auf
Bjerre, 1987 im Kopenhagen geboren, Absolventin der Frankfurter Städelschule, beschäftigt sich darin mit einem der schillerndsten Fälle von Immobilienbetrug, den es in Deutschland jemals gab. Der Ort, an dem der Skandal sein Zentrum hatte, liegt genau gegenüber dem Salon Kennedy, dem zweiten Ausstellungsraum, den Stemmler und Gräfling betreiben: in der noblen Kennedy-Allee in Sachsenhausen. In der Hausnummer 123 hatte die Firma S&K Immobilien ihren Sitz, ein Unternehmen von zwei Jugendfreunden, Stephan Schäfer und Jonas Köller. Mit Hilfe eines Schneeball-Systems sollen sie unzählige Anleger, die bei S&K in Immobilienfonds investiert haben, betrogen haben.
Denn das Geld, das die Sparer vermehren wollten, landete vermutlich größtenteils in den Taschen von Köller und Schäfer selbst. Und die gaben es für luxuriösen Schnickschnack aus, kauften protzige Sportwagen und Villen im Taunus oder mieteten ein VIP-Loge in der Commerzbank-Arena. Mit der Stretchlimousine drehten sie in Frankfurt ihre Runden, mit ihren Kunden sind sie nach Dubai oder Las Vegas gereist. Auf ihren Festen räkelten sich Frauen in übergroßen Champagnergläsern, traten abgehalfterte Schlagerstars neben Elefanten und Zebras auf. 240 Millionen Euro haben sich so wohl in Luft aufgelöst, der Prozess gegen Köller und Schäfer läuft seit etwas mehr als einem halben Jahr am Frankfurter Landgericht.
Die Gier ist universell
In dem Projekt „Money over World“ beschäftigt sich Bjerre mit der Gier, die hinter solchen Betrügereien steckt – nicht nur mit der Gier der vermeintlichen Betrüger, sondern auch mit der Gier der Anleger. Dass diese Gier universell ist, fällt heute nicht nur beim Blick auf Immobiliengeschäfte auf, sondern lässt sich etwa auch am überhitzten Kunstmarkt beobachten. Zu Bjerres bisherigen „Money over World“-Präsentationen gehörte deshalb auch eine Party im Rahmen der Kölner Kunstmesse „Art Cologne“. Weitere Stationen des Projekts waren ein leerstehendes Hotel in Südtirol und ein Londoner Parkhaus, wo Bjerre eigene, ortsbezogene Arbeiten zeigte. Für den Kunstverein Wiesen hat sie nun eine Gruppenausstellung auf die Beine gestellt. Eingeladen hat sie dazu Nanna Abell, Rosa Aiello, Karoline Dausien, Adam Fearon, Freja Sofie Kirk, Hannah Levy und Lina Selander.
In ihren Arbeiten für „Soft Costs“ reagieren auch diese jungen Künstler nun auf den S&K-Skandal, mal sehr direkt, mal eher allgemein. Karolin Dausier etwa hat sich – in der Serie „SK“ – mit den Protzereien des Paars Schäfer und Köller auseinandergesetzt. Auf Leder hat sie kleine Skizzen aus dem Leben der beiden gestickt. Da sieht man dann etwa das Cover eines amerikanischen Wirtschaftsmagazins, auf das die beiden mittels Photoshop ein Porträt von sich haben montieren lassen und das sie ihren Kunden stolz präsentiert haben.
Blicke hinter die Fassade
Von Freja Sofie Kirk gibt es Fotografien, die die glitzernde Welt der VIP-Partys bloßstellen. Dem Stil eines Juergen Teller nicht unähnlich legt sie den Trash hinter dem Glamour frei. Auch Benedikte Bjerre beschäftigt sich mit Statussymbolen, im Erdgeschoss des Schlosses hat sie in einem Raum sogenannte „Dancing Queens“ aus eingesammelten Autoradkappen arrangiert, in einem weiteren Raum zeigt sie die Skulptur „Happy Cherries“. Die Kirsche in sattem Rot erinnert an das Logo des Techno-Clubs „Pacha“ auf Ibiza, ist aber auch ein Zeichen für Fruchtbarkeit.
Es macht riesigen Spaß, sich durch dieses besondere Gebäude zu bewegen, sich in die Arbeiten der jungen Künstler zu vertiefen, der Kunstverein Wiesen ist alles andere als ein Allerweltsausstellungsraum. Wer ihn besuchen möchte, muss sich allerdings im Voraus zu einer der Führungen dort anmelden, die Termine findet man auf der Website oder bei Facebook.