Ein Symposium diskutiert im Frankfurter Kunstverein, wie Kunstkritik angesichts zunehmender Präsentation und Verbreitung zeitgenössischer Kunst in sozialen Netzwerken und Internetplattformen agieren kann.
Die Digitalisierung sorgt für Umwälzungen in vielen Lebensbereichen. Auch die Kunstwelt ist davon nicht ausgenommen. Seit einigen Jahren schon kursiert die Bezeichnung „Post-Internet Art“. Darunter werden diverse künstlerische Phänomene jüngerer Zeit zusammengefasst. Kito Nedo schreibt, „Post-Internet Art“ sei weniger Stil denn eine Haltung. Junge zeitgenössische Künstler nutzen, so Nedo, die unerschöpflichen Ressourcen des Internet, aber auch der Werbung und des Corporate Design, oft in einer affirmativen, also bejahenden Art und Weise. Die vom New Yorker Künstlerkollektiv DIS kuratierte Berlin Biennale 2016 war wohl die bisher konzentrierteste Überblicksschau in Sachen „Post-Internet Art“.
Doch nicht nur die Entstehung von Kunstwerken steht zunehmend unter Einfluss der Digitalisierung. Auch ihre mediale Verbreitung ist im Wandel. Zahlreiche Blogs, Internetportale und soziale Netzwerke bieten eine Plattform für die visuelle Präsentation von Kunst. Wer auf Facebook, Instagram oder Tumblr seine Werke zeigt, muss vor allem auf die Qualität des „installation shot“, der Ausstellungsansicht, achten. Die beliebte Seite „Contemporary Art Daily“ verzichtet gänzlich auf Texte und stellt Kunst nur noch durch „installation shots“ vor. So werden heute viele Arbeiten im Hinblick auf eine möglichst Social-Media-taugliche fotografische Abbildung produziert. Denn eine Ausstellung ist örtlich und zeitlich begrenzt. Im Netz warten hingegen ungleich mehr Gelegenheiten, gesehen zu werden.
Vorhut der Kunstgeschichte
Diese Gemengelage betrifft neben der Kunstproduktion und -präsentation auch die Kunstkritik. Welche Rolle sie noch spielt, wenn sich immer mehr Menschen selbstständig informieren, ohne auf professionelle Medien und Experten zurückzugreifen? Kann der „Like“-Button einen fundierten Text ersetzen? Wie die digitale Vernetzung und Verbreitung von Kunst neue Herausforderungen an die Kritik stellt, diskutiert ein zweitägigen Symposium im Frankfurter Kunstverein. Konzipiert wurde „Newsflash Kunstkritik“ von Ellen Wagner. Seit 2014 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach. Die „Post-Internet Art“ und ihre Strategien kann man grob als ihr Forschungsthema umreißen.
Neben der wissenschaftlichen Arbeit schreibt Wagner auch journalistisch über Kunst. Sie schätzt die Kunstkritik als „eine Art ‚Vorhut’, die sich oft zuallererst mit neuen Phänomenen in der zeitgenössischen Kunst auseinandersetzt, bevor diese in der Kunstgeschichte Beachtung finden.“ Zum Symposium hat Ellen Wagner vier Vortragende vorab eingeladen. Fünf weitere Referenten wurden nach einem offenen „Call for Papers“ ausgewählt. So kommt der Kunstwissenschaftler, Journalist und Musiker Jörg Scheller nach Frankfurt. Er unterrichtet an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Als Journalist publiziert Scheller zudem u.a. in Die Zeit, Süddeutsche Zeitung, Schweizer Monat und frieze d/e. Sein Vortrag wird sich mit der Frage beschäftigen, was kunstkritische Autorschaft in Zeiten von Vernetzung bedeutet und die Frage nach ihrer Bedeutung für die Herausbildung heutiger Zivilgesellschaften ansprechen.
Digitale Allgegenwart
Noemi Smolik wird über die Kunstkritik in Zeiten der Fragmentierung der Perspektiven und Theorieansätze sowie einer Verwischung der Grenze zwischen Kunst und Populärkultur sprechen: „Wie vermeide ich Fallen und andere Stolpersteine“. In Düsseldorf leitete Smolik 2015 ein Praxisseminar zur Förderung angehender Kunstkritiker. Bevor am Freitagmittag die Abschlussdiskussion des Symposiums beginnt, wird der F.A.Z.-Feuilletonredakteur Kolja Reichert vortragen: „Was ist noch ein Argument? Kunst und Kritik nach dem Celebritive Turn“. Reichert schrieb schon für Die Welt, Die Zeit und für Kunstmagazine wie art, Weltkunst und frieze d/e. Weitere Vortragsthemen sind beispielsweise die schon erwähnte „Wirkmacht des installation shot“ und „Schreiben – Liken – Hashtaggen“.
Von dem Symposium erhofft sich Ellen Wagner keine definitiven Antworten auf die zahlreichen Fragen und Herausforderungen. Vielmehr gehe es um den Austausch und Diskussion unterschiedlicher Meinungen. Das Thema Digitalität sei allgegenwärtig, sagt Wagner, bisher aber nicht in Bezug auf Kunstkritik aufgearbeitet. Diese Lücke möchte sie füllen: „Ich glaube, dieses Thema muss besprochen werden.“