Wenn Spielen zur Kunst wird: Billy Rennekamp ist Künstler und Teil der Web Serie Translantics. Ein Portrait auf dem SCHIRN MAGAZIN.
Im Berliner Atelier des amerikanischen, 1988 geborenen Künstlers Billy Rennekamp stapeln sich unendlich viele Objekte, die man auf den ersten Blick vielleicht unter der Kategorie "Freizeit" zusammenfassen möchte: Bälle, Tore, Polo-Schläger, Spielfiguren, und Brettspiele verstreuen sich im Raum. Billy empfindet sich selbst als Messie, doch sein Atelier wirkt strukturell geordnet. Alles bezieht sich auf das Thema des Spiels. Ihn interessiert, wie aus wenigen Regeln Systeme und Miniaturwelten aufgestellt werden und wie er diese Regeln innerhalb seiner Kunst manipulieren kann.
Brettspiele faszinieren Billy momentan ganz besonders: Er beschäftigt sich mit dem Japanischen Spiel Othello, das in etwas abgewandelter Form als Reversi bekannt ist. Während seines Studiums programmierte er das Spiel für zwei Computer, die automatisiert gegeneinander antreten. Dadurch will er herausfinden, wie viele Spiele als symmetrisches Brett zwischen schwarzen und weißen Steinen enden und wie diese Konstellationen aussehen. Ein endgültiges Resultat wird es wegen der vielen Möglichkeiten erst in ein paar Jahrzehnten geben. Für Billy ist das Projekt mittlerweile zum Hobby geworden: Er hat es in eine Glücksspiel-Website verwandelt, bei der man Krypto-Münzen gewinnen kann. "Für mich ist es ein "Papas Hobbykeller"-Projekt. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob ich es als Kunst betrachten soll oder nicht."
Billys Vorliebe für Spiele und das Programmieren beginnt mit Videospielen, die er als Kind zur Kompensation seines Hippie-Bauern-Landlebens für sich entdeckt. Sein Vater ist ein Pferdetrainer aus Kentucky – "ein richtiger Cowboy", der gebleichte Jeans und einen Cowboyhut trägt, Sommersprossen und rote, lockige Haare hat. Billy hat jedoch ein gespaltenes Verhältnis zum Landleben und glaubt einerseits, den "Vibe eines Pferdeflüsterers", und andererseits ein Faible für elektronische Geräte, Mathematik und Naturwissenschaft zu haben. Letzteres beschert ihm im Alter von sieben eine Position im Technology-Leaders-Club seiner Schule. "Ich glaube man reagiert auf das, worin man gut ist," erklärt Billy, der am New Yorker Bard College Film und Electronic Arts studierte.
Einen Zugang zur zeitgenössischen Kunst findet Billy vor allem durch seinen Professor Ed Halter – einem Kritiker und Kurator – der ihm zeigt, wie sich das frühe Avantgarde Kino schließlich zur Internet-Art gewandelt hat. Digitale Kunst gefällt Billy, nicht nur wegen den günstigen Produktionskosten und ihren unendlichen Möglichkeiten, sondern auch wegen der vernetzen Community. Mit Künstler-Kollegen wie Petra Cortright, Eric Mack, Hayley Silverman und Travess Smalley gründet er Surf-Clubs, kollaborative online Blogs und Kollektive, wie Loshadka.org, HandEyeCoordination.org, und IndexOfPotential.net. "Es ging vor allem darum, Menschen kennenzulernen."
Billy erhält 2009 ein Stipendium, um in Berlin für den Künstler Oliver Laric als Praktikant zu arbeiten: "Für eine Weile hielt ich Praktika für das beste in der Welt." Er versteht seine kostenfreie Arbeitsleistung als eine Art Spende für einen guten Zweck. Auch bei anderen Koryphäen im Bereich der digitalen Kunst, wie dem New Yorker Dis Magazine, dem Künstler Cory Arcangel oder Rhizome.org macht er Praktika und pendelt dabei bis 2012 zwischen New York und Berlin hin und her, entschließt sich aber 2013 endgültig in die deutsche Hauptstadt zu ziehen.
Die Community internationaler Künstler, die mit dem Internet arbeiten, hat sich aus Billys Sicht heute so stark vergrößert, dass ihr die einstige Intimität abhanden gekommen sei. Auch das ist ein Grund dafür, warum er in Berlin seinen Schwerpunkt stärker auf physische Objekte lenkt. Billy überträgt sein Interesse an Software-basierten Regelwelten programmierter Videospiele auf verschiedene Sportarten. "Das war ein fließender Übergang. Als ob Sport eine physische Version der Software wäre; eine Reihe von Regeln, die in der physischen Welt manifestiert sind." Mit viel Liebe zum Detail und handwerklichem Geschick produziert er Bälle mit abgewandelten Mustern, er kollagiert Sportclub-Logos auf Handzeichen, er zweckentfremdet Objekte wie Körbe oder Tore, die manchmal nur noch durch das Material auf ihre ursprüngliche Funktion hinweisen. Sportmaterialien sind für Billy genau wegen dieser Funktionalität spannend: "Sie repräsentieren die Grenze zwischen einer physischen und einer Regel-basierten Welt." Gleichzeitig befriedigen die Objekte sein physischen Verlangen: "Ich will sie anfassen. Ich muss ein Objekt machen, sodass ich mit ihm zusammen sein kann."
Der Materialfetischismus, dem er in seinen jetzigen Arbeiten nachgeht, ist seiner Meinung nach bereits ein Teil ihrer materiellen Funktion, denn sie seien "dazu gemacht, angefasst zu werden." Diese Idee wird etwa bei einer Wandskulptur deutlich: Sie besteht aus einen Rahmen, der mit Basketball-Material überspannt ist; darunter wölbt sich die Form eines Balls und erweckt den Eindruck eines Babybauchs. Titel der Arbeit ist "TBA", was als Kurzform für "to be announced" so viel wie "wird angekündigt" bedeutet. Für eine andere Arbeit hat er mit schwarzen und weißen Lederstücken das Muster eines Fußballs – ein abgestumpftes Ikosaeder – zusammengenäht, ist mit dem Lederlappen über das Gras eines dreckigen Hügels gerutscht und hat ihn dann wie eine Leinwand auf einen Keilrahmen gespannt. Der noch sichtbare Dreck auf dem Material unterstreicht für Billy den Unterschied zwischen digitaler Perfektion und realer Fehlbarkeit – das "unausweichliche Scheitern des physischen Objekts, im Gegensatz zu einem digitalen Modell."
In Berlin-Neukölln hat Billy sein Atelier neben dem von Britta Thie, die beiden kennen sich seit langem. In ihrem Serien-Projekt Translantics spielt er den Künstler und Galerieassistenten Ben – ein Playboy der Kunstwelt. Eigentlich wollte er seinem Charakter einen Südstaaten-Akzent verleihen, damit er ihm nicht zu sehr ähnelt, doch Billy vergisst ihn bereits während den Dreharbeiten zur ersten Episode. Für ihn ist Translantics wie eine fantasievolle aber auch selbst-reflexive "Highschool Sitcom": "Britta hat mich wahrscheinlich aus dem Grund besetzt, weil ich Teil dieser speziellen Kunstwelt bin, mit der sie sich beschäftigt. Das ist satirisch, aber nicht verurteilend, denn schließlich sind wir alle irgendwie mit schuld an der Welt, die dort dargestellt wird."