Der Pop-Künstler war Star und Paparazzi in einem. Die ambivalente Faszination für Prominenz und Blitzlicht zieht sich durch sein gesamtes Werk.
Der Blick wandert an der über vier Meter großen Leinwand hoch und bleibt an den insgesamt 25 grellbunten Magazintiteln hängen - „Dianas Traumhochzeit", „Der Papst in Polen" oder „Zu Gast bei Fürstin Gracia" lauten die simplen, aber einschlägigen Schlagzeilen. Andy Warhol schuf mit „Magazine and History (0290)" von 1983 eine Montage aus Covern der deutschen Illustrierten BUNTE. Der riesige Acryl- und Siebdruck zeugt nicht nur von Warhols Interesse an der Pressefotografie, Paparazzi-Ästhetik und der Entwicklung der Massenmedien, sondern birgt auch eine kuriose Anekdote. Anfang der 1970er-Jahre lernten sich der Pop-Künstler und der damalige BUNTE Chefredakteur Hubert Burda kennen. Warhol, der 1969 mit „Interview" selbst ein Magazin für Mode, Lifestyle und Gossip gründete, brachte Burda auf die Idee, die BUNTE zu einem deutschen People-Magazin zu machen, das bis heute mit seinem Untertitel „Leidenschaft für Menschen" heiße Storys über den britischen Adel, die deutsche B-Prominenz und amerikanische Hollywoodstars verspricht. „Magazine and History (0290)" wurde von Hubert Burda gekauft.
Hier zeigt sich eine ambivalente Faszination für Prominenz wie für die Verbindung von Kommerz, Kunst und der Bildproduktion der Massenmedien, die für Warhols Werk seit den 1960er-Jahren prägend war. Denn bereits in seinen frühen Siebdrucken lässt sich Andy Warhol von der Pressefotografie inspirieren und imitiert Fotografien von alltäglichen Sportevents, zeithistorischen Geschehnissen oder Werbebildern in seinen Siebdrucken. Auch ganze Zeitungsseiten werden appropriiert, wie in „Daily News" (1962), einem Hauptwerk seiner „Headlines"-Serie. Im Vordergrund jener Arbeiten steht die Suche nach einem kulturellen Profil Nordamerikas, einer Ikonisierung des Alltäglichen, aber auch eine kritische Auseinandersetzung mit den Massenmedien und ihren effektheischenden Schlagzeilen.
Ein leidenschaftlicher Sammler von Menschen
Die Aneignung und Umschreibung von Presseschlagzeilen führte Warhol in den 1980er-Jahren gemeinsam mit Keith Haring weiter. „Untitled (New York Post Front Page - Madonna)" zeigt die Titelseite der „New York Post". Außer dem Namen der Zeitung, einem Bild von Madonna mit Begleiter (hinter der Sonnenbrille könnte sich Sean Penn, ihr damaliger Ehemann, verstecken) und den Wörtern „Blast" und „Stay Cool" ist alles in typischer Haring-Manier übermalt, mit akzentuierenden Strichen und tanzenden Männchen versehen. Umkodierung par excellence.
"The most exciting work I've seen lately, are these paparazzi photos from the forties of movie stars (...) They look so beautiful . . . like the greatest pictures in the world." In einem Interview wird Warhol zitiert, wie er von den Paparazzi Fotografien großer Stars der Hollywood-Ära schwärmt. Die spontane und intime Qualität der Bilder, die geheimnisvolle Präsenz der Stars -- die Ästhetik der Paparazzi Fotografien war ganz nach Warhols Geschmack. Von seinem langjährigen Assistenten Gerard Malanga wurde er als „people collector" beschrieben, als leidenschaftlichen Sammler von Menschen -- auf Film, Siebdrucken und auf Fotopapier. Er selbst antwortete in einem Interview auf die Frage, welche Person der Gegenwart er am interessanten fände: „I just like everyone."
Warhol hat zurückgeschossen
Es überrascht also kaum, dass Warhol 1976 eine Minox Kamera im Taschenformat kaufte, die er fortan immer bei sich trug, um sein Umfeld festzuhalten. Die so entstandenen schwarz-weiß Fotografien veröffentlicht er drei Jahre später als „Andy Warhol's Exposures". Der Titel ist klug gewählt, denn er bezieht sich auf die Bilder in zweierlei Hinsicht: „Exposure" benennt den Belichtungsgrad von Fotografien, bedeutet jedoch ebenfalls so viel wie Aufdeckung oder Enthüllung. Warhol selbst beschreibt die Bilder als „clear, showing a public figure engaged in private acts." Der Fokus liegt demnach nicht, wie in den zuvor gefertigten Siebdruck-Porträts von medial omnipräsenten Stars wie Marilyn Monroe oder Jackie Kennedy, auf einer durchdachten Komposition. Vielmehr wird der Moment, die sich in Aktion befindene Person, der spontane Akt der Fotografie hervorgehoben - eine Ästhetik, die durch Zufall entsteht und selten kontrolliert werden kann.
Vom Jäger und Sammler zum Gejagten: Die Fotografie „Paparazzi" von 1986 zeugt von Warhols eigener Prominenz und seinem Star-Status. Warhol, der 1987 starb, hatte sich mit den Jahren immer weiter vom Underground entfernt und ist zum gefragten Künstler und begehrtem Celebrity avanciert. In „Paparazzi" wird diese Umkehrung deutlich. Auf Augenhöhe begegnen dem Betrachter Paparazzi, die hinter den Fotokameras, die ihre Gesichter verdecken, anonym bleiben. Warhol hat wortwörtlich zurückgeschossen und in seinem Bild eben jene Charakteristika eingefangen, die für die Paparazzifotografie selbst charakteristisch sind: die leichte Überlichtung durch den Blitz, der flüchtige Moment, ein öffentlicher Ort, die zufällige Komposition.
Geständnisse der eigenen Schaulust
Wie ein roter Faden zieht sich Andy Warhols Auseinandersetzung mit (Massen-)Medien, ihrer Auswirkung auf die Rezeption von Geschehnissen wie auch ihre formale Ästhetik durch sein Œuvre. Die Position, die Warhol dabei einnahm, ist schwer zu greifen. Er pendelte stets zwischen Affirmation und Dekonstruktion. Die eigene Affinität für Prominenz und Blitzlicht wird immer wieder ironisiert und augenzwinkernd kommentiert. Diese Ambivalenz macht Werke wie „Magazine and History (0290)" jedoch erst interessant. Denn sie sind Geständnisse der eigenen Schaulust und der Leidenschaft fürs „Menschensammeln".