René Magritte hat einige bedeutende Künstler der Nachkriegszeit beeinflusst. Eine Spurensuche im Werk von Jasper Johns, Vija Celmins und Ed Ruscha.
Im Jahr 1954 treffen Generationen aufeinander. In einer New Yorker Galerie sehen die jungen Künstler Jasper Johns und Robert Rauschenberg eine Ausstellung von Bild-Text-Gemälden René Magrittes. Auch das berühmte Gemälde „La Trahison des images (Ceci n’est pas une pipe)“ von 1929 ist zu sehen.
Ihr Interesse an Magritte bekräftigen Johns und Rauschenberg mit späteren Erwerbungen seiner Arbeiten. Magrittes philosophisch-konzeptueller Umgang mit Bild und Sprache hat einige Künstler der Nachkriegszeit beeinflusst. Anhand von Jasper Johns, Vija Celmins und Ed Ruscha sieht man, wie eine Generation US-amerikanischer Künstler auf Magritte blickte.
Man kann Magrittes Pfeife nicht rauchen
Der 1930 geborene Jasper Johns und René Magritte begegneten sich persönlich im Jahr 1965, anlässlich Magrittes Retrospektive im New Yorker MoMA. Beide Künstler, schreibt die Kunsthistorikerin Roberta Bernstein, zeigten alltägliche Dinge auf eine unerwartete Art und Weise, was den Betrachter dazu bringe, anders über Selbstverständliches zu denken. In seiner künstlerischen Arbeit greift Johns auf Dinge zurück, die normalerweise übersehen oder keines eingehenderen Blicks gewürdigt werden. Bekannt ist er beispielsweise für Gemälde von Ziffern, Flaggen und Zielscheiben, aber auch durch Leinwandarbeiten, die reale Gegenstände beinhalten.
Jasper Johns wird manchmal mit René Magritte verglichen, indes gibt es in seiner Kunst keine allzu direkten Magritte-Bezüge. Auch spricht er kaum von Magritte als Vorbild. Doch kann man Johns' malerische Studien zum Verhältnis von Sehen und Denken als eine Verbindung zwischen den beiden Künstlern sehen. Gewissermaßen radikalisiert Johns sogar Magrittes Ansatz. „Man kann Magrittes Pfeife nicht rauchen, aber man kann sehr wohl einen Dartpfeil auf Johns' Zielscheibe werfen“, schreibt Leo Steinberg. Jasper Johns verwischt also die Grenze zwischen Objekt und Bild. „Is it a flag, or is it a painting?“, fragt Max Imdahl 1969 im Zusammenhang mit Johns' Flaggenbildern.
Stille und beunruhigende Bildmotive
Das Verhältnis von Bild und Sprache ist ein weiteres Feld, auf dem sich Jasper Johns und René Magritte gleichermaßen bewegen. Oft setzt Magritte Text in seinen Gemälden ein, um den Betrachter zu irritieren. Die Sentenz „Ceci n’est pas une pipe“ („Das ist keine Pfeife“) ist ein Paradebeispiel hierfür. Auf einem Gemälde aus der Serie „La Clef des songes“ („Der Schlüssel der Träume“) von 1935 beschriftet Magritte vier Objekte mit unzusammenhängenden Begriffen. So liest man unter der Abbildung eines Pferdekopfes „the door“. Jasper Johns tendiert unterdessen dazu, die Gegenstände auf seinen Gemälden 'korrekt' zu beschriften, um gleichsam ihre Echtheit zu beglaubigen.
Die 1938 in Lettland geborene, in New York lebende Künstlerin Vija Celmins ist mit ihrer akribischen, gegenständlichen und meist monochromen Malerei und Zeichnung bekannt geworden. In den sechziger Jahren begann Celmins, an kleinformatigen 'Porträts' alltäglicher Objekte aus ihrem Atelier – so zum Beispiel Kochplatte, Heizung oder Lampe – zu arbeiten. An Magrittes Malerei schätze Celmins, so die Kunsthistorikerin Sara Cochran, deren Stille und Unbewegtheit, gepaart mit beunruhigenden Bildmotiven. Auch sein Spiel mit Zwei- und Dreidimensionalität sowie seine Bilder von Objekten interessieren sie.
Bisweilen bezieht sich Vija Celmins direkt auf Magrittes Werke. Unter anderem inspiriert von seinem Gemälde „Les valeurs personnelles“ („Persönliche Werte“) aus dem Jahr 1952, das einige stark vergrößerte Gebrauchsgegenstände in einem Zimmer mit Wolkentapete zeigt, baute Celmins 1970 einen fast zwei Meter hohen Kamm. Das Kamm-Objekt „Untitled (Comb)“ entstand in einem arbeitsintensiven, zweijährigen Produktionsprozess neben anderen überdimensionalen Objekten.
Cowboy-Magritte in Hollywood
Magrittes Gegenüberstellung des Wirklichen und des Imaginären reizt Celmins. „Er hatte viele Ideen über das Reale und das Imaginäre, die er auf eine kluge Weise illustrierte. Magritte machte deutlich, dass Dinge, die in Gemälden stattfinden, nicht real sind.“ Celmins' Graphitzeichnung „Untitled (Cloud with Wire)“ von 1969 spielt mit der Idee des trompe l'oeil. Zu sehen ist ein bewölkter Himmel und eine Schnur, die sich scheinbar davon abhebt. Die Schnur wirft einen – ebenfalls gezeichneten – Schatten auf den Himmel. Sie verweist auf dessen zweidimensionalen Charakter, gleichwohl ist auch sie 'nur' ein Bild, eine Illusion.
Indes halten nicht alle offensichtlich erscheinenden künstlerischen Parallelen einer genaueren Überprüfung stand. Man nehme das Werk des des 1937 geborenen, im südkalifornischen Culver City lebenden Künstlers Ed Ruscha. Der häufige, konzeptuelle Einsatz von Text in seinen Gemälden, die Isolierung und Vergrößerung einzelner Motive sowie die Stimmung, die seine Bilder vermitteln, könnten zu dem Gedanken verleiten, René Magrittes Arbeiten hätten Ruscha Pate gestanden. Ed Ruscha sei eine Art „Cowboy-Magritte in Hollywood“, schreibt ein Kritiker im Jahr 1971. Ruschas künstlerische Arbeit verbinde Pop mit Surrealismus.
Der Kampf in großartigen Bildern
Ed Ruscha verneint diese Einordnung in einem Gespräch mit der Kuratorin Lynn Zelevansky: „Ich mag Magrittes Werk, aber es hatte keinen großen Einfluss auf mich.“ Viel wesentlicher sei er durch Duchamp, Kurt Schwitters und Max Ernst beeinflusst. Persönlich trafen sich Magritte und Ruscha 1967 in Venedig. Der Galerist Alexander Iolas vertrat zu dieser Zeit beide Künstler. Ruscha beschreibt Magritte als einen „freundlichen, angenehmen Mann“ und „absoluten Gentleman“. „Sein prosaischer, 'normaler' Lebensstil, zusammen mit seinen Bildern, machen Magritte hochgradig interessant.“
Ruschas Lieblingsbild von Magritte ist „La Durée poignardée“ („Die erstochene Zeit“) von 1938. Es zeigt einen kahl und anonym erscheinenden Ausschnitt eines bürgerlichen Wohnzimmers. Aus einem weißen Kamin, der das Bild dominiert, tritt, oder vielmehr schwebt, eine Dampflok heraus. Einerseits sei darin eine „Nicht-Realität“, sagt Ed Ruscha, denn im Alltag kämen keine Eisenbahnen aus Kaminen. Der Rauch, den die Lok ausstößt, werde aber vom Kamin eingezogen, und das sei wieder realistisch. „Der Kampf zwischen der Nicht-Realität und der Realität der Malerei ist die Art Kampf, die es zu einem großartigen Bild werden lässt.“