Der Entwurf einer Skulptur von Lena Henke ist nominiert, das neueste künstlerische Vorhaben der New Yorker High Line zu zieren.
Auf einem Sockel erhebt sich eine riesige Brust. Stolz ragt der Nippel gen Himmel. Eine bronzene Reling legt sich wie ein magisches Schutzschild um das 3,60 Meter hohe, kolossale Objekt. Doch diese Skulptur ist nicht erstarrt, sie lebt. Sie zerbricht in ihre Einzelteile. Sie ist porös, löchrig, vergänglich. Geformt aus Erde, Sand und Lehm ist sie alles andere als monumental, übermenschlich und massiv. Sie muss gepflegt und wöchentlich neu erschaffen werden. Damit fordert uns das Werk heraus, die Bedeutung und Relevanz von Kunst im öffentlichen Raum – Kunst, die für alle Menschen zugänglich ist – zu hinterfragen und immer wieder neu herzustellen.
„Ascent of a Woman“ (dt. „Der Aufstieg einer Frau“) ist der Titel, den die Bildhauerin Lena Henke diesem, ihrem neusten Werk widmete. Obwohl die Arbeit bis dato nur als Zeichnung auf Papier, als ein Entwurf, existiert, sorgt sie schon für helle Aufregung. Und das aus gutem Grund: „Ascent of a Woman“ wurde zusammen mit elf weiteren Modellvorschlägen von Künstlern wie Jonathan Berger, Minerva Cuevas, Jeremy Deller, Sam Durant, Charles Gaines, Matthew Day Jackson, Simone Leigh, Roman Ondak, Paola Pivi, Haim Steinbach und Cosima von Bonin ausgewählt, den High Line Plinth, eine neue Kunstplattform auf der beliebten New Yorker Hochtrasse, ab dem Jahr 2018 zu bespielen.
Der letzte Bauabschnitt
Der High Line Plinth ist das neuste Vorhaben der Friends of the High Line, einer Gruppe von engagierten New Yorkern, die sich für die Aufwertung der Lebensqualität im Westen Manhattans einsetzen und seit 2006 eine ehemalige Güterzugtrasse von 1934 in eine begrünte Hochparkanlage mit attraktiven Freizeitangeboten umgestalten. Der High Line Plinth wird im nächsten Jahr zusammen mit dem letzten Bauabschnitt, der Umgestaltung der High Line zwischen der 30th Street und der 10th Avenue, eröffnet und genau an der Stelle stehen, wo die Schienen in Richtung Hudson River abbogen, ein Gebiet, in dem sich heute die riesigen Bürokomplexe der Hudson Yards ansiedeln.
Konzeptionell orientiert sich das Skulpturenprojekt am Fourth Plinth, einem gigantischen Sockel auf Londons Trafalgar Square, der seit 1999 abwechselnd von Werken renommierter Künstler wie Thomas Schütte, Elmgreen & Dragset oder David Shrigley bespielt wird. In New York wird das Programm ähnlich rotieren und jeweils das Werk eines der zwölf ausgewählten Künstler als Auftragsarbeit realisieren, um es schließlich auf der neun Meter hohen High Line für achtzehn Monate zu präsentieren. Dabei werden die großformatigen Skulpturen im öffentlichen Raum für alle erfahrbar sein und das einheitliche Bild hochmoderner Stadtarchitektur, das für New York so prägend ist, brechen.
Frankfurt, New York, Frankfurt
Lena Henke ist die jüngste unter den nominierten Künstlern. 1982 wurde sie in Warburg geboren und studierte von 2004 bis 2010 an der Frankfurter Städelschule beim Maler und Professor Michael Krebber. Nach ihrem Kunststudium zog sie nach New York, wo sie seitdem lebt und arbeitet. Mittlerweile sind ihre Arbeiten in internationalen Sammlungen vertreten und zu ihrem Lebenslauf zählen Einzelausstellungen im Kunstverein Braunschweig (2016) und bei White Flag Projects in St. Louis (2014). Allein 2016 nahm sie an der 9. Berlin Biennale, der Montreal Biennale und der Manifesta 11 teil. In diesem Jahr wird sie für die Rotunde der SCHIRN ein neues, skulpturales Projekt realisieren.
Wie in allen ihren Werken setzt sich Henke auch für „Ascent of a Woman“ mit der Infrastruktur der Stadt, architektonischer Geschichte und den urbanen Herausforderungen für das Zusammenleben auseinander. Über ihren Entwurf sagt Henke: „Meine Skulptur greift in die Rationalität der Stadt ein. In diesem bereits bestehenden System funktioniert sie wie ein Symbol feminisierter Irrationalität und organischer Bewegung. Sie verbindet praktisch einen biomorphen Organismus mit der High Line, einer Baustruktur, die vom Stadtplaner und späteren Parks Commissioner Robert Moses errichtet wurde und die den Prinzipien des geometrischen Modernismus folgt. In diesem Sinne ist die Brust eine Herausforderung für den öffentlichen Raum und orientiert sich formal eher an den Ansätzen Oscar Niemeyers, an seinen architektonischen Kurven, seiner Verwendung von sinnlichen, feminisierten, abgerundeten Kanten und formuliert somit ein Gegenargument zum Erbe der harten Formen des Modernismus.“
Die Skulptur und das Wetter
Wie schon in Le Corbusiers Architekturskizzen ersichtlich, scheint sich diese Stadtgeschichte primär auch am männlichen Körper auszurichten. „Ascent of a Woman“ spielt mit diesen Ideen und platziert inmitten des urbanen – männlich dominierten – Raums eine Skulptur, die auf den Parametern des femininen Körpers basiert. So macht sich die Skulptur ihre Sichtbarkeit im Außenraum zu Nutze, um sich öffentlich der Struktur des Linearen und Grafischen und den Symbolen der Macht zu widersetzen.
„Ascent of a Woman“ ist eine politisch engagierte Skulptur, die sich Immanuel Kants Begriff des Erhabenen konsequent entzieht. Sie reagiert auf die Einflüsse des Wetters und ist maßgeblich durch ihre fragile Materialität charakterisiert. Angewiesen auf einen Produzenten, auf Henke selbst, muss das Werk wöchentlich restauriert, gepflegt und wiederaufgebaut werden. Es ist genau diese Interaktion zwischen Mensch und Objekt, die darauf verweist, dass Skulpturen im öffentlichen Raum vergänglich sind, dass ihre Bedeutung schwindet, wenn sie nicht aktiviert werden, und darauf, dass sie immer nur in Abhängigkeit zu ihrer Umwelt existieren können. „Ascent of a Woman“ ist eine Skulptur, die lebt.