Künstlerin Melanie Matranga zeigt in ihren Filmen, wie junge Menschen vertraut miteinander umgehen ohne einander wirklich wahrzunehmen.
In dem 1994 veröffentlichen Cover des Kinks-Songs „People taking pictures of each other“ sangen „Die Goldenen Zitronen“ keck: „Menschen machen Fotos gegenseitig, zu beweisen dass sie wirklich existierten, auf Nummer sicher zu gehen dass sie da sind“. Heutzutage ließe sich dies recht treffend auf die Instagram-Kultur anwenden, bei der jedoch weniger der andere als vielmehr man selbst und die eigene alltägliche Umgebung in Szene gesetzt werden.
Die Ästhetik einer Großzahl der dort veröffentlichten Bilder könnte man polemisch als Katalog-Inszenierung des eigenen Lebens bezeichnen, bei der User das eigene Er- und Leben so porträtieren, wie es die Werbung zur Produktanpreisung zu tun pflegt. Solche Bilder dienen, folgt man beispielsweise Medientheorie-Professor Wolfgang Ullrich, sodann auch weniger der Dokumentation und Erinnerung denn der Kommunikation, stellen also eine grundlegende Veränderung des Mediums Fotografie dar.
Weiß die dominierende Farbe
In der Videoarbeit „You“ (2016) der französischen Künstlerin Mélanie Matranga (*1985) ist die Instagram-Ästhetik, die in der Kunstzeitschrift Monopol einst mit den Stichworten „Viel Weiß, viel Vase, viel Bett“ zusammengefasst wurde, allgegenwärtig. Ein Mann und eine Frau sitzen auf einem Bett, das Zimmer ist lichtdurchflutet, Weiß die dominierende Farbe. Die Frau schubst den Mann, es entsteht eine kleine Kabbelei, bevor der Mann sich schließlich anzieht und geht.
Szenenwechsel: Mann und Frau liegen beieinander, der Mann streichelt die Frau, erzählt schließlich eine Anekdote über eine ältere, elegante Nachbarin, der er als Junge heimlich beobachtete und über die er phantasierte. Im Folgenden würfelt Matranga die Protagonisten aus diesen zwei Szenen munter durcheinander: der Mann aus der zweiten Szene hat auf einer Toilette Sex mit der Frau aus der ersten, die Frau aus der zweiten Szene erzählt die ihr erzählte persönliche Anekdote leicht verändert als eigene Erfahrung dem Mann aus der ersten Szene, zwischenzeitlich landen drei der vier in einem Bett oder sie treffen sich alle auf einer Party.
Jeder im eigenen Kosmos
Matranga inszeniert Momentaufnahmen aus Liebesbeziehungen, genauer vielleicht: film-ästhetisch anerkannte Repräsentationen aus solchen, während die Protagonisten seltsam fremd und distanziert bleiben. Die zur Schau gestellte innige Intimität, in der Regel Ausdruck der Gefühle zweier Individuen zueinander, scheint hier eher selbst als Kommunikator aufzutreten; die Ausführenden sind kaum mehr als handelnde Gegenstände. In „Jour & Nuit“ (2015) hingegen, der im Rahmen der Installation „反复 (FANFU)“ erstmalig zu sehen war, beschäftigten sich die Protagonisten noch ausschließlich mit sich selbst.
Vier Freunde, die sich in einem Restaurant treffen, reden aneinander vorbei, fokussieren ostentativ das eigene Essen, hören sich nicht zu und verschwinden schließlich jeder wieder im eigenen Kosmos, den sie nie richtig verlassen haben. In „You“ wiederum scheinen die getrennten Individuen in einem gemeinsamen, übersubjektiven Wir aufgegangen zu sein: Das titelgebende Du wird seiner ihm je besonderen Exklusivität beraubt, die Grenzen zwischen Ich und Du zerfließen und existieren fortan als Über-Subjekt in einer reinen Gegenwart, die weder Vergangenheit noch Zukunft in sich zu tragen scheint.
Getrieben von Dämonen
Rein in der Gegenwart stolpert auch Keith (Dore Mann) von einer Situation in die nächste: Dem twentysomething folgen wir in Ronald Bronsteins „Frownland“ (2007) in den letzten Atemzügen seiner Beziehung zu Laura (Mary Bronstein), in Auseinandersetzungen mit seinem Mitbewohner Charles (Paul Grimstad) oder während seiner erfolglosen Tätigkeit als Teil einer Drückerkolonne.
Keith ist ein rastloses, neurotisches Nervenbündel, stetig in Bewegung, sprachlich verworren und nicht zum Punkt kommend, von Unsicherheit und Angst getrieben und hoffnungslos verloren. Unfähig, seine eigenen Wünsche auch nur zu erkennen oder zu artikulieren, treiben ihn seine Dämonen von einer aussichtlosen Situation in die nächste, währenddessen der soziale Abstiegsdruck immer weiter zunimmt.
Psychische Leiden ohne Niedlichkeit
Bronstein arbeitete über fünf Jahre an „Frownland“ und finanzierte den Film hauptsächlich durch seine Einnahmen als Filmvorführer. Exzessiv wie auch zeitintensiv arbeitete er mit den Laiendarstellern an „Frownland“ und was als Resultat auf der Leinwand zu sehen ist, überschreitet oft genug die Grenze des Erträglichen: Dore Manns Darstellung des stets unruhigen wie getriebenen Keiths, der sich in einer selbst erschaffenen Welt aus Zweifel und Unsicherheit von einem Moment in den nächsten hangelt, berührte einen Zuschauer in einer Filmvorführung in Las Vegas so unangenehm, dass es fast zu einer Schlägerei gekommen wäre. Jene Intensität macht aus „Frownland“ eine wahrhaftig authentische Tour de force, in der psychische Leiden weder dem Altar der Niedlichkeit geopfert noch Figuren zu Vermittlern einer übergeordneten Botschaft degradiert werden.