Double Feature im Mai präsentiert die Künstlerin Monira Al Qadiri mit ihren Filmen "Abu Athiyya (Father of Pain)", "Behind the Sun" und "Travel Prayer".
Eine minutenlange Autofahrt durch eine Steppe. Der Himmel bedrohlich wolkenverhangen, der Horizont hinter den Wolken wirkt rot-gelblich verfärbt. Das Videobild ist verwackelt und verwaschen, der Ton übersteuert: Der Einstieg in Monira Al Qadiris „Behind the sun“ (2013) scheint nichts Gutes zu verheißen. Und in der Tat, nach gut zweieinhalb Minuten dämmert es langsam, wo man sich befindet: Auf den brennenden Ölfeldern von Kuwait. Die irakische Armee hatte beim Rückzug aus Kuwait im Zweiten Golfkrieg zwischen 605 und 732 Ölfelder in Brand gesetzt - Teil der perfiden „Verbrannte Erde“-Taktik.
Die im Senegal geborene und in Kuwait aufgewachsene Monira Al Qadiri (*1983) war zu diesem Zeitpunkt gerade sieben Jahre alt. Die Kamera gibt in „Behind the sun“ nun das Bild auf besagte brennende Ölfelder frei, schwarzer Rauch tränkt den blauen Himmel in ein alles verschlingendes Etwas und der Boden scheint aus offenen Wunden Feuer zu bluten. Ähnliche Bilder hatte Werner Herzog in seiner fiktiven Dokumentation „Lessons in darkness“ (1995) verwendet. Unterlegt mit der Musik von Arvo Pärt kreierte Herzog eine Meditation über Katastrophen, entkoppelt vom tatsächlich historischen Gehalt der Bilder. Als Jugendliche sah Al Qadiri den Film und ärgerte sich über die „Lügen“, wie sie die von Herzog in seiner ostentativen Stimme vorgetragene Erzählung empfand. Jahre später sah sie den Film erneut und verliebte sich in das Werk – so ist „Behind the sun“ eine Art eigener Versuch, sich den wirkungsmächtigen Bildern zu nähern.
Islamische Poesie
Qadiri unterlegt die bisher unveröffentlichten Aufnahmen eines Amateurfilmers auf der Tonspur mit islamischer Poesie, wie sie seinerzeit in TV-Sendungen vorgetragen wurde. Die sonore Stimme preist die Schöpfung Allahs, beschwört die Schönheit der Flora und Fauna und den perfekten Einklang jener. Gekoppelt mit den Bildern des Infernos vermischt sich die Film-Collage zu einer ambivalenten Mélange aus Melancholie und schwarzen Humor. Gleichzeitig ruft das Werk eine nun schon lang vergangen anmutende Zeit in Erinnerung, in der in islamischen Predigten und Texten weniger martialische und ideologische Elemente hervorstechen, sondern diese viel stärker von Poesie und Schöpfungspreisung geprägt waren.
In anderen Werken wie „Abu Athiyya (Father of Pain)“ (2013) rekurriert Al Qadiri auf ein ähnliches Moment: Als bärtiger Mann in einem langen Gewand verkleidet performt sie einen Klagegesang, in dem der Sänger seine eigene Schlaflosigkeit beklagt. Der bärtige Mann nimmt schließlich zwei Dolche und führt, in der Tradition der irakischen Tänzerin Malayeen, einen Messertanz auf. Das bizarre Setting (schwarzer Hintergrund, fliegender Totenkopf, später: herunter regnender Discoglitter) und Al Qadiris Perfomance schieben dem leidenden Klagegesang eine alberne Note unter, kosten die zur Schau gestellte Traurigkeit gleichermaßen aus und fokussieren so ein narzisstisches Element, das mit männlicher Traurigkeit vielleicht grundsätzlich einhergeht – der an Weltschmerz leidende Jüngling oder Mann sei in Erinnerung gerufen. Der Wehklagende in „Abu Athiyya (Father of Pain) sitzt am Ende mit den Dolchen im Schneidersitz, als ihm plötzlich Engelsflügel wachsen und sich derweil sein Antlitz in das von Che Guevera zu transformieren scheint, Heiligenschein inklusive.
Trennlinie zwischen Trauer und Humor
In diversen Videoarbeiten, die sich der Ästhetik von Musik-Videos bedienen, setzt sich die Künstlerin mit jener Ästhetik der Traurigkeit auseinander – an der Tokyo University of Arts schrieb Al Qadiri ihre Doktorarbeit mit dem Titel „The aesthetics of sadness in Eastern cultures“, in der sie die spezifische Kultur des Trauerns bzw. der Traurigkeit im Nahen Osten thematisiert. Die humoristische Herangehensweise Al Qadiris um die absurde Gemengelage, also die unscharfe Trennlinie zwischen Trauer und Humor auf den Punkt zu bringen, ist exemplarisch in der kurzen Arbeit „Travel Prayer“ zu sehen: Eine kindliche Melodie, über die ein wiederum wehklagendes Gebet gelegt ist – „Oh Lord, facilitate our travel and make the distance we cover shorter“. Zu sehen sind Aufnahmen eines Kamelrennens, bei dem die Tiere von Roboterjockeys angepeitscht werden. Weiter heißt es im Gebet: „Oh Lord I take refuge in you from the hardships of travel and its depressive scenery”.
Als Lieblingsfilm wird im zweiten Teil des Abends „Mishima – A life in four chapters“ von Paul Schrader aus dem Jahr 1985 zu sehen sein. Der Film setzt das Leben des titelgebenden Mishima Yukio in Szene, einer der bedeutendsten Autoren japanischer Nachkriegsliteratur und zugleich prominenter, rechter politischer Aktivist. Schrader erzählt in Rückblenden aus verschiedenen Lebensabschnitten Mishimas (Ken Ogata) und inszeniert parallel hierzu wichtige Werke des Autors aus der gleichen Zeit, in denen unter anderen seine nicht offen ausgelebte Homosexualität oder seine radikale Politisierung thematisiert werden. Die Erzählung mündet im spektakulären wie aussichtlosen Putschversuch, den Mishima mit vier Mitgliedern seiner Privatarmee „Tatenokai" im Tokioter Armee-Hauptquartier 1970 unternahm, welcher in anschließendem Seppuku des Schriftstellers gipfelte, einem außergewöhnlich brutalen, ritualisierten Selbstmord.
Umstrittener Autor
Die Auseinandersetzung mit Mishima Yukio unterbleibt in Japan wegen dessen kaisertreuen sowie faschistoiden Überzeugung bis in heutige Zeiten – weshalb auch Schraders Filmproduktion mehrfach zu scheitern drohte. Aufgrund von Drohungen zog sich der ursprünglich angedachte Hauptdarsteller aus der Produktion zurück – aus dem gleichen Grund wollten auch verschiedene Geldgeber mit dem Film nichts mehr zu tun haben – und Drehgenehmigungen kamen erst zu Stande, nachdem man Yakuza Bestechungsgelder gezahlt hatte.
Trotz der widrigen Produktionsbedingungen ist „Mishima – A life in four chapters“ ein visuell bestechendes Werk, das die Ambiguität des umstrittenen Autoren gekonnt auf Film bannt: Die Vervollkommnungssehnsucht krankhaft narzisstischer Persönlichkeiten, die die künstlerische Auseinandersetzung mit der politischen Aktion austauschen, transformiert deren Auslöschungsfantasien nunmehr in ultimative Taten. Schrader setzt diesen Mechanismus mittels des präzisen Drehbuchs und der eindrucksvollen Bildsprache nachhaltig wirkungsvoll in Szene. Der Narzissmus, so könnte man nach diesem DoubleFeature vielleicht sagen, geriert sich absolut: Die Selbstbesessenheit muss entweder unendlich expandieren und macht sich so die Welt zu eigen, oder aber sie gipfelt in Selbstdestruktion wie bei Mishima oder dem bärtigen Tänzer in Al Qadiris „Abu Athiyya“: der Dolch wird gezückt. Ob danach die Erlösung wartet, bleibt allerdings zweifelhaft.