Historische Begebenheiten spielen eine wichtige Rolle in den Filmen von Bianca Baldi. Die südafrikanische Künstlerin ist im Juli zu Gast bei DOUBLE FEATURE.
Zunächst ist da ein Klopfen, das im steten, schnellen Rhythmus im rechten Stereobild zu vernehmen ist. Eine dumpfe Kick Drum? Ein Herzschlag? Während das Bild weiter schwarz bleibt, erklingt eine Frauenstimme von links: „Let’s begin by standing with your eyes open at the beginning of your chosen path”. Das dunkle Schwarz gibt den Blick frei auf sphärische Schatten, Rauchschwaden scheinen durchs Bild zu wehen. Man meint einen Baum auszumachen, Äste, alles merkwürdig verzerrt. „Free yourself from your eyes, brain […] With closed eyes see through the darkness”. Der stete Rhythmus beschleunigt, droht zu stolpern und das Auge versteht nun, dass wir uns in einem Labyrinth befinden. „I come to you because I desire to see – eyes in the back of your head” spricht die Stimme schließlich den titelgebenden Satz.
Die Idee zur Installation “Eyes in the back of your head” entstand im Jahr 2016 im Rahmen einer artist residency in Ljubljana, Slowenien. Im örtlichen Ethnographischen Museum wurde die 1985 im südafrikanischen Johannesburg geborene Bianca Baldi auf die dokumentarischen Fotografien des slowenischen Ingenieurs Anton Codelli sowie eine Talisman-Schriftrolle aus der Togo-Sammlung seines Freundes Leo Poljanec aufmerksam. Die beiden hatten sich von 1911 bis 1914 dem Unternehmen Telefunken angeschlossen, um in der seinerzeit deutschen Kolonie Togoland in der Ortschaft Kamina einen Radiotelegrafen zu installieren, der bis ins brandenburgische Nauen funken sollte.
Gebannte Dämonen
In der Installation „Eyes in the back of your head“, die in diesem Jahr im Kunstverein Harburger Bahnhof in Hamburg zu sehen war, hingen meterlange Stoffbahnen von der Decke, bedruckt mit den Fotoaufnahmen Anton Codellis – die Videoarbeit, die nun im DOUBLE FEATURE präsentiert wird, ist Teil dieser Installation. Codellis Aufnahmen tauchen auch hier wieder auf: An den Wänden jenes Labyrinths, durch das der Blick der Kamera unaufhörlich gleitet, um es später in seiner Gänze von oben einzufangen – wo es sich dem Zuschauer nun als jenes Labyrinth aus den Talisman-Schriften offenbart, in dem Dämonen auf ewig eingefangen werden sollen, sodass sie dem Träger der Schriftrolle kein Unheil bringen können.
Im Kern der Arbeit wirft Baldi mit „Eyes in the back of your head“ Fragen nach menschlichen Kommunikationsmöglichkeiten und deren Auswirkungen auf: Hier die technisch-wissenschaftliche Form der Kommunikation, die im Symbol der Funkstation inmitten der gerodeten Wälder immer wieder durchschimmert, dort die Kommunikation innerhalb einer mythologischen, geistigen Welt: Ein Labyrinth, dass die Einflusssphäre der geistigen Welt ins eigene Leben hinein bannt. Auf formaler Ebene wird dieses Prinzip gerade in der Nutzung des Tons aufgegriffen: Die sprachliche Kommunikation lässt Baldi ausschließlich von links erklingen – in der linken Gehirnhälfte wird klassisch das Sprachzentrum verortet. Die rechte Seite des Gehirns ist dem Volksmund nach hingegen eher für das ganzheitliche Erfassen, die Intuition zuständig. Hier lässt Bianca Baldi einen monotonen Rhythmus erklingen, der an rituelle Perkussionsmusik erinnern mag.
Apartheid und Boykott
In ihren Arbeiten lässt sich Baldi oft von historischen Begebenheiten inspirieren: Ihre Arbeit „Zero Latitude“, die auf der Berlin Biennale 2014 gezeigt wurde, bezieht sich auf den Reisekoffer inklusive portablem Bett des Afrikareisenden und Kolonialforschers Pierre Savorgnan de Brazza, den Louis Vuitton speziell für ihn designte. In der Installation „Fun Capital“ (2012), bestehend aus Found Footage-Videomaterial und Fotografien fokussierte Baldi Frank Sinatras Auftritt in Sun City, dem Vergnügungs- und Freizeitkomplex des ehemaligen Südafrikanischen Homelands Bophuthatswana, das aufgrund der Apartheids-Politik von den United Nations mit einem Kulturboykott belegt wurde.
Als Lieblingsfilm wird Bianca Baldi Raúl Ruiz‘ (1941-2011) „L'Hypothèse du tableau volé“ aus dem Jahre 1978 zeigen. Dort führt uns ein Kunstsammler (Jean Rougeul) in die rätselhafte Bilderwelt des Malers Frédérique Tonnerre ein. Dessen Bilder, so erfahren wir vom eloquenten Sammler, sorgten Ende des 19. Jahrhunderts für einen Skandal in der Kunstwelt, der heutzutage kaum mehr nachzuvollziehen sei. Der Kunstsammler versucht im Folgenden anhand der verbleibenden sechs Gemälde des Malers – ein Bild wurde gestohlen und ist unwiderruflich verloren – das Geheimnis ebenjener zu lüften.
Noch mehr Fragen
Er führt den Zuschauer durch ein barockes Anwesen, auf dem die Bilder von Statisten nachgestellt werden. Während der Sammler durch diese lebenden Bilder gleitet, führt er den Zuschauer ein ums andere Mal auf falsche Fährten, wird zwischenzeitlich von einem zweiten Erzähler aus dem Off unterbrochen, der dem Sammler mal zustimmt, mal mit ihm zu streiten scheint und versucht dem rätselhaften Geheimnis der Bilder auf die Spur zu kommen.
„L'Hypothèse du tableau volé“ ist ein Geniestreich des französischen-chilenischen Regisseurs Raúl Ruiz. Das formal an das verlorene Genre des Film-Essays erinnernde Werk geriert sich mit fortlaufender Zeit immer mehr als Mockumentary, bezugnehmend auf das literarische Oeuvre des französischen Schriftstellers Pierre Klossowski, der ebenso am Drehbuch beteiligt war. Der Film wirft essenzielle Fragen nach Wahrnehmung und dem Wesen bildender Kunst auf, gibt vor, sie spielerisch mit den Darstellungsmöglichkeiten des Kinos zu beantworten, nur um den Zuschauer schließlich mit noch mehr Fragen zurückzulassen. So ist „L'Hypothèse du tableau volé“ ein enorm kunstvolles wie unterhaltsames Rätsel und als solches, wie alle guten Rätsel, nicht wirklich an der Auflösung seiner selbst interessiert. Was bleibt, sind die zum Leben erweckten Bilder – in ihrer Leibhaftig- und Lebendigkeit ein Einspruch gegen die rein darstellende Form und Funktion ihrer selbst.