Filmkulissen entstehen heute selbstverständlich am Computer, möchte man meinen. Das SCHIRN MAGAZIN traf Szenenbildner, die für ihren neuen Science-Fiction-Film detailverliebt alles per Hand gebaut haben.
Mit ihren futuristischen Kostümen und dem Szenenbild für den Science-Fiction Film „Aelita“, schrieb Alexandra Exter 1924 Kinogeschichte. Dass der Film des Regisseurs Yakov Protazanov als Pionierwerk des sowjetischen Kinos gilt, verdankt er unter anderem den Bildwelten, die Zuschauer damals wie heute in ihren Bann schlagen.
Um in Zeiten computergenerierter Bilder noch Experten für handgemachte Sets und Effekte zu finden, trat das SCHIRN MAGAZIN eine Reise ins Siegerland an und traf eine vierköpfigen Crew junger Filmemacher: Marcel Barion, Massimo Müller, Johannes Bade und Philipp Bojahr sprachen über das Erschaffen sogkräftiger Filmwelten, Science-Fiction und natürlich über ihren aktuellen Film „Das letzte Land“.
Über 90 Jahre nach „Aelita“, in Zeiten digitaler Illusionen, greift Ihr zur Erschaffung eurer Bildwelten auf analoges Handwerk zurück. Wieso habt Ihr auf computergenerierte Bilder verzichtet?
Marcel Barion: Wir haben ganz bewusst auf CGI [Computer Generated Images, d. Red.] verzichtet. Man könnte meinen, dass es günstiger oder einfacher wäre, mit Modellen und handgefertigtem Szenenbild zu arbeiten – so ist es definitiv nicht. Es sieht einfach besser aus.
Philipp Bojahr: Wenn man sich Filme aus der Anfangszeit der CGI ansieht, beispielsweise „Star Wars Episode IV“, fallen die nachträglich eingefügten Animationen seit den 90er- und 2000er-Jahren im Vergleich zu den sehr guten Masken aus den späten 70ern schon negativ auf. Die Sehgewohnheit hat sich so schnell geändert, dass diese Animationen heute einfach nicht mehr State-of-the-Art sind. Ich finde ein gutes handgemachtes Modell oder Set ist zeitloser. Diese Sachen altern mit Würde.
"In Würde altern" ist ein schönes Stichwort. Wie gefällt euch das Szenenbild von „Aelita“?
Massimo Müller: Die Interaktion der Charaktere mit dem Set finde ich gut. Wenn beispielsweise diese riesigen Maschinen bedient werden, oder die Fließbänder laufen. Schön gemacht.
MB: Viele schiefe Winkel und Kanten. Also spontan denke ich gleich an „Das Kabinett des Dr. Caligari“ oder allgemein an den frühen expressionistischen Film.
PB: Wegen der geometrischen Formen auch an das „Triadische Ballett“ von Oskar Schlemmer.
MB: Ja, jedenfalls sieht man dem Set an, dass es stark im Kunststil seiner Entstehungszeit verankert ist. Die Welt auf dem Mars sieht sehr designt aus, sehr clean. Eine technisierte Umgebung, die nicht viel von Ihrer Funktion preisgibt.
PB: Kein "Form follows funktion". [Gestaltungsleitsatz aus Design und Architektur, der postuliert, dass sich die Gestaltung von Dingen aus ihrem Nutzzweck ableiten soll, d. Red.]
MB: Das ist vier Jahre später, also 1928/29 bei „Frau im Mond“ von Fritz Lang schon wieder anders. Da ist das Filmset von technischen Apparaturen bestimmt, aber mit vermeintlich banalen Kleinigkeiten wie Fuß-Laschen im Boden, in denen die Astronauten bei Schwerelosigkeit Halt finden. Da hat man sich sehr genau überlegt, was funktionale Elemente in einem Raumschiff sein könnten. Dadurch wird die Illusion für den Zuschauer glaubhafter.
Exters Fokus liegt auf der Erweiterung des Bühnenraums. Mittels Rampen, Treppen und Fließbänder wird das Szenenbild in seiner räumlichen Tiefe bespielbar. Exter deutet nur sehr vage an, wie Maschinen funktionieren oder welchem Zweck sie dienen. Euer Projekt „Das Letzte Land“, zeichnet sich ja vor allem durch Liebe zu Details aus, etwa wenn es darum geht, eine technisierte Umgebung im Detail mit all ihren Gebrauchsspuren glaubhaft zu machen.
PB: Als wir anfingen, das Raumschiff für „Das letzte Land“ zu bauen, waren die Bauteile optisch fabrikneu. Wir haben es auch zunächst als neues Raumschiff gebaut.
MM: Aber das Raumschiff im Film ist alt, also haben wir alles mit einer Patina überzogen, damit die einzelnen Bauteile ein homogenes Gesamtbild ergeben.
Johannes Bade: Dabei wurde das Schiffsinnere so stark verdreckt, dass man Details, wie die Beschriftung der Armaturen, teilweise nicht mehr lesen konnte. Dann kamen die Gebrauchsspuren, mit Messern wurde Lack abgekratzt und diese Stahl-Luke haben wir mit Salzwasser künstlich rosten lassen.
MM: Das Spannende war, dass wir das Material, die Bauteile, neu entdeckt haben, also über eine dritte Funktion von Design nachdenken mussten. [Die visuelle Gestaltung der Gegenstände deutet auf ihre Funktion hin (Anzeichenfunktion) und sie können als Symbol für Stil, Werte oder Zeitgeist wahrgenommen werden (Symbolfunktion), d. Red.] Die Raumschiff-Teile wurden ursprünglich für etwas anderes entworfen. Wir nehmen sie aus ihrem ursprünglichen Kontext und machen ihn zu einem Teil des Schiffs. Sie stellen nun etwas anderes dar.
Wie die Rowenta-Bügeleisen oder der Bleistiftminenspitzer der Firma Dahle bei „Raumpatrouille Orion“ (1965)?
PB: Die Dinge müssen entfremdet sein, sonst geht ihr Zauber verloren. Wenn man beispielsweise ein Bügeleisen erkennen würde, dann funktioniert es für den Betrachter nicht. Es war uns wichtig, dass wir viele Dinge verwenden, die für etwas stehen. Wir haben hier vor allem Röhrenmonitore oder alte Oszilloskope genommen, weil sie den Look der Zeit vermitteln.
Welcher Zeit? Der 80er, oder vielmehr 1979, wenn man sich an Ridley Scotts „Alien“ erinnert fühlt?
PB: Ja, „Alien“ hat uns geprägt, aber auch das Set von „Blade Runner“ von 1982 oder das Innenleben des Milleniumfalcon bei „Star Wars“ waren Einflüsse, auf die wir uns bei unserer Arbeit einigen konnten. Wir haben Bauteile verwendet, die Indikatoren für „Retro-Ästhetik“ sind, weil sie die Aura der Zeit besitzen, in der Science-Fiction-Filme auf eine Weise gemacht wurden, wie wir das hier auch tun.
MB: Das Set sollte so etwas wie der dritte Charakter werden. Seine Bauelemente werden zu Darstellern. Das Raumschiff in unserem Film soll zum Zuschauer sprechen, nicht wie Hal, [der Bordcomputer des Films „2001 – Odyssee im Weltraum“, d. Red.] sondern im übertragenen Sinne.
JB: Zumal ein Großteil des Films im Raumschiff spielt und nur von zwei Schauspielern getragen wird. Ein Kammerstück im Weltall. Da ist es besonders wichtig, dass das Set gut ist.
PB: Ich habe nun, wo der Film abgedreht ist, ein bisschen das Problem, dass mir die Schauspieler beim Betrachten des Raumschiffs im Weg stehen. [lacht] Auf manche Details des Szenenbilds wird der Zuschauer nie achten. Auf einem Plan ist genau verzeichnet, welches Licht, welche Kontrollleuchte, welches Oszilloskop oder DVD-Player gezielt angesteuert werden kann.
Der Plan lässt vermuten, dass das Raumschiff mehr kann, als ihm der Film abverlangt?
PB: Ja, da steckt vielleicht mehr Liebe zum Detail drin als notwendig, aber so hat man später beim Dreh mehr Möglichkeiten. Ein kleines Blinklicht im Cockpit ist nicht einfach zufallsgesteuert, sondern so programmiert, dass alle vier Sekunden in ganz bestimmten Abschnitten ausgewürfelt wird, welche der Kontrollleuchten an- oder ausgeschaltet ist. So stelle ich sicher, dass das Lichtfeld im Gesamtbild des Cockpits immer ein gleichmäßig ist.
MM: Es gibt auch Abschnitte im Raumschiff, die in keiner Kameraeinstellung zu sehen sind – wie etwa der Bereich der Luftversorgung.
Eure Liebe zum Detail fängt schon bei dem Modell der Raumstation an, bei dem man im Film nie die ausgearbeitete Rückseite sehen wird, oder dem Zement in der Gewehrrequisite, damit sie wirklich schwer ist.
MB: Der Zuschauer würde es merken, wenn die Requisiten nicht schwer wären. Und der Schauspieler auch. Es geht nicht nur um meinen Spielraum als Regisseur und Kameramann, sondern eben auch um das Gefühl am Set.