Die transmediale in Berlin hat sich früher mit der Zukunft beschäftigt. Jetzt hat die Gegenwart das Festival überholt.
1950 schlug Alan Turing einen Test vor, der mittlerweile so etwas wie ein Klischee geworden ist, wenn man über intelligente Maschinen spricht. “The Imitation Game” ist eine Methode, um herauszufinden, ob ein Roboter so tut, als wäre er ein Mensch. Dafür muss es aber überhaupt erst einmal Maschinen geben, die so tun können, als wären sie menschlich. Die gab es in den 1950er-Jahren natürlich noch nicht. Der Aufsatz des sonst eher nüchternen Mathematikers Turing liest sich daher wie spekulative Literatur. Er zweifelt selbst: “Warum sollte man über so eine Frage überhaupt nachdenken?”
Die transmediale fand zum ersten Mal in der Frühgeschichte des Internets statt — also in den späten 1980ern. Ungefähr zur gleichen Zeit haben konservative Denker das Ende der Geschichte ausgerufen, als wäre damit eine Utopie eingetreten, in der der Kapitalismus gesiegt hat. Das Internet erschien als ein anarchischer Raum, in dem alles möglich ist. Das Festival begann als Videofestival, wurde zum Treffen von Netz- und Medienkünstlern, Hackern und Menschen, die daran glaubten, dass digitale Vernetzung unsere Zukunft bestimmen wird. “Ever elusive” lautet das Motto der 30. transmediale, stets flüchtig. Das ist ziemlich selbstbewusst von der Kuratorin Daphne Dragona und dem Künstlerischen Leiter Kristoffer Gansing. Als hätte sich das Festival in den drei Jahrzehnten seines Bestehens immer jeder Positionierung entzogen.
Fremde Computer
Die Grenze zwischen Kunstwelt und politischem Aktivismus ist bei der transmediale traditionell unscharf. An einem Wochenende im Februar wird im Haus der Kulturen der Welt gesprochen über: digitale Kunst, digitale Technik, darüber, was Kunst überhaupt noch bewirkt. Nur dieses Jahr wird es ein bisschen unheimlich. Bei vielen der aus den USA Angereisen taucht Donald Trump immer wieder auf, und es scheint, als ginge es gar nicht mehr nur darum, wie die Zukunft mit Computern aussehen soll, sondern vielmehr darum, wie wir mit der Gegenwart klarkommen.
Sicher werden die Pessimisten sagen: Eigentlich ist die Lage so trostlos wie Ende der 1980er. Algorithmen suchen für uns aus, welche Informationen wir bekommen. In den sozialen Medien erfahren wir nur, was wir schon wissen. Jede Information, die nicht aus unserer Filter Bubble stammt, ist radikal fremd — “alien matter”.
Die Welt aus den Augen der Maschinen
Das Fremdsein, die "alien matter", ist ein großes Thema der diesjährigen transmediale und übrigens auch der Titel der Ausstellung, die zur transmediale gehört. So auch bei Sascha Pohflepps Video “Recursion” (2016). Der Arbeit liegt ein Text zugrunde, bei dem der Künstler nur das erste Wort vorgegeben hat: “human”. Den Rest hat eine Maschine geschrieben. Aus Hegels “Phänomenologie des Geistes”, aus Beatles-Songs, oder aus Büchern der Anthropologin Mary Douglas wurde ein Text über die Menschheit zusammengestückelt. Im Video liest die Performancekünstlerin Erika Ostrander den Text. Es ist ein bisschen wie bei Thomas Nagel, sagt Pohflepp. Der Philosoph fragte nämlich einmal, wie es ist, eine Fledermaus zu sein. Der Künstler fragt, wie es ist, die Welt mit den Augen einer Maschine zu sehen. Bloß eine Antwort haben beide nicht.
Seit Google im Sommer 2015 sein Tool DeepDream vorgestellt hat, ist ein neuer Aspekt von künstlicher Intelligenz in den Fokus gerückt. Denn Google wollte zeigen, dass die Bilderkennungssoftware so etwas wie ein digitales Unbewusstes hat. Man kann den Algorithmus mit Bildern füttern, die die Maschine mit anderen Bildern assoziiert und überlagert. Dass am Ende alle Bilder gleich aussahen, nämlich wie Hunde im LSD-Rausch — geschenkt. Constant Dullaart antwortet mit seiner Arbeit “DullDream” auf den Vorstoß ins Unbewusste der Maschine. Anders als die schlaue Bilderkennungssoftware erhöht “DullDream” die Komplexität nicht. Dullarts Arbeit reduziert Bilder auf ein paar einfache Formen. Wie bei Googles tiefen Träumen kann jeder sein eigenes Bild hochladen. Natürlich hat jemand am Eröffnungsabend ein Bild von Donald Trump hochgeladen. Sein Gesicht wird zur kubistischen Maske, und Dullaart bringt die künstliche Intelligenz auf ein menschliches Maß zurück.
Smarte Hybride aus Mensch und Algorithmus
Ignas Krunglevičius hat für “Hard Body Trade” (2015) Stock-Aufnahmen von Gebirgsmassiven zusammengeschnitten. Zu synthetischen Beats fliegt die Kamera über synthetisch aussehende Berge. Dazu zitiert eine Computerstimme Zeilen aus einer anderen Arbeit von Krunglevičius, “Condition of Possibility: Bicameral mind”. Komischerweise ist bei den Sonnenaufgängen und den wolkenverhangenen Tälern das Erhabene der klassischen Landschaftsmalerei nur eine Ahnung. Dafür sehen die Berge zu künstlich aus. So, als wären sie dafür gemacht, in HD von einer Drohne abgefilmt zu werden. “Do you know that feeling, honey, when Candy Crush is asking for your money?”, fragt die Computerstimme, und: “Replaying the Turing test over and over, as we are leaving the protein centric world view. We are the brand new hyper objects.”
Eigentlich braucht man den Turing-Test nicht mehr, um lernfähige Computerprogramme mit Menschen zu vergleichen. Denn die Maschinen werden nicht mehr nur menschenähnlich. Unser Blick aufs Smartphone erfolgt fast automatisch, wenn wir in einer unbekannten Umgebung etwas suchen. Zu sagen, wir wären schon längst smarte Hybride aus Mensch und Algorithmus ist natürlich übertrieben. Aber die transmediale bietet jetzt schon das Feld, in dem dieser Zustand geprobt werden kann.
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