Die Amazigh Akademie, ein Verein für masirische Sprache und Kultur, möchte nicht nur die eigenen Leute empowern, sondern mit einem vielseitigem Programm auch eine breite Öffentlichkeit erreichen.

„Nimm zum Beispiel das Wort ‚Regenbogen‘. Auf Tamazight sagen wir ‚Taslit n wanẓar‘ – das heißt ‚Braut des Regens‘. Wenn ich das höre, habe ich eine ganz andere Metapher im Kopf. Die Sprache ist voller solcher Bilder. Das zu teilen, finde ich schön“, sagt Chaouki Kamboua. „Die Sprache macht einfach glücklich“, ergänzt Khadija Larabi. „Ich kann meine Gefühle auf eine ganz besondere Weise ausdrücken und es ist schön, dass jede Sprache einen anderen Blickwinkel ermöglicht.“ Wir sitzen im Frankfurter Stattcafé in Bockenheim. Spiele und Bücher laden zum Verweilen ein. Kunst hängt an den Wänden. Fatima Kamboua und Mustapha Takaddart machen die Runde komplett. Die vier sind Mitglieder der Amazigh Akademie, einem Verein für masirische Sprache und Kultur.

Der Verein ging aus einer Online-Gruppe hervor, die sich 2020 während des Lockdowns auf Zoom traf, um ihre Sprachkenntnisse aufzufrischen. „Es war früher üblich, dass die Kinder der sogenannten Gastarbeiter in Deutschland muttersprachlichen Unterricht bekamen. Damit war die Erwartung verbunden, dass sie wieder zurück in ihre alte Heimat gehen“, erzählt Fatima Kamboua. „Viele von uns mussten statt Tamazight Arabisch lernen, obwohl das gar nicht unsere Muttersprache ist. Inzwischen arbeiten einige von uns in akademischen Berufen und haben die Möglichkeit, sich für die Belange ihrer Community einzusetzen. Mit dem Verein wollen wir genau das tun.“ Eines der ersten Treffen, noch während der Gründungsphase, hat hier im Stattcafé stattgefunden.

Sprache als Selbstermächtigung

Tamazight (oder Masirisch) ist die Sprache der indigenen Bevölkerung Nordafrikas – den Imazighen (oder Masir*innen). Sie umfasst verschiedene Varietäten. Bei der Amazigh Akademie wird vorerst das sogenannte Tarifit gesprochen. Amazigh bedeutet so viel wie „freier Mensch“. Imazighen lautet der Plural. Lange Zeit war Tamazight dem Arabischen nicht gleichgestellt, obwohl es von vielen Menschen gesprochen wird. In Marokko zum Beispiel ist es erst seit 2011 neben Arabisch Amtssprache. „Mir ging es immer gegen den Strich, fremdbezeichnet zu werden“, sagt Mustapha Takaddart. „Am schlimmsten ist das B-Wort.“ Die Rede ist vom Begriff „Berber“, der auf das griechische Wort für „Barbaren“ zurückgeht. „Ich habe es früher selbst oft benutzt“, sagt Fatima Kamboua. „Es nicht mehr zu verwenden, ist für mich ein Akt der Selbstermächtigung.“

Foto: Neven Allgeier

Die Sprache macht einfach glücklich.

Khadija Larabi

Im vergangenen Mai präsentierte sich die Amazigh Akademie erstmals der Öffentlichkeit mit einem vielseitigen Programm. Mit freundlicher Unterstützung des Amtes für multikulturelle Angelegenheiten wurde ein Gebäude der Saalbau im Frankfurter Stadtteil Fechenheim angemietet. „Vereine zahlen dort weniger Miete, außerdem ist der Ort barrierefrei – das war uns besonders wichtig“, sagt Fatima Kamboua. „Ob Familien mit Kinderwagen und Menschen im Rollstuhl – bei uns soll jede*r Zugang haben.“ Zu der kostenlosen Veranstaltung kamen rund 160 Besucher*innen. Es gab einen Workshop mit Trommeln und Gesängen. „Das hat ein bisschen so funktioniert wie bei einem modernen Hip-Hop-Battle. Die Leute haben sich dabei gedisst, aber auf eine sehr smarte Weise.“

Foto: Neven Allgeier

Bei einem anderen Workshop ging es um Henna-Tattoos und ihre Bedeutung. Masirische Frauen waren früher oft tätowiert – etwa auf den Handflächen oder auf der Stirn. „Aus einer eurozentrischen Perspektive gehören Tattoos zur Moderne, bei uns gibt es das schon seit etlichen Jahren“, sagt Fatima Kamboua. Auch eine Ausstellung war Teil des Programms: Sam Khayari, ein Künstler aus Rüsselsheim, zeigte Bilder und Collagen. Außerdem gab es nordafrikanisches Essen – Tomaten-Gurken-Salat zum Beispiel. Oder mit Hähnchenfleisch und einer Mandel-Ei-Masse gefüllte Teigtaschen. Zum Nachtisch Couscous mit Butter, Puderzucker und Zimt. „Marokkanisches Essen ist oft eine Kombination aus Süß und Herzhaft“, erklärt Khadija Larabi.

Ein Programm zwischen Kultur und Wissenschaft

„Es ist uns wichtig, nicht nur kulturell, sondern auch wissenschaftlich zu arbeiten“, sagt Mustapha Takaddart. „Leider ist das meiste, was über masirische Kultur geschrieben wurde, in spanischer oder englischer Sprache verfasst.“ Zur Auftaktveranstaltung wurde Mohand Tilmatine als Keynote-Speaker eingeladen, Professor für masirische Sprachen und Kulturen an der Uni im spanischen Cádiz. Tilmatine spicht sich dafür aus, statt Tamazight den Begriff Masirisch zu verwenden, weil er im Deutschen vergleichsweise leicht von der Zunge geht.

Foto: Neven Allgeier

„Unsere Auftaktveranstaltung bestand aus vielen kleinen Sneak Peeks“, sagt Khadija Larabi. „Die Leute sollten eine Ahnung davon bekommen, was sie von der Amazigh Akademie in Zukunft erwarten können.“ Ideen gibt es noch viele. „Wir sind dabei, uns weiter zu alphabetisieren und auf Tamazight schreiben zu lernen, dann können wir auch Sprachkurse anbieten.“ Tamazight beruht ursprünglich auf ganz eigenen Schriftzeichen – der Tifinagh-Schrift. Man kann – der Einfachheit halber – zum Schreiben aber auch das lateinische Alphabet verwenden. Mitglieder des Vereins haben ein Malbuch für Kinder gestaltet, bei dem unter den auszumalenden Bildern Begriffe in Tamazight stehen. Die zweite Auflage ist bereits in Planung und kann demnächst käuflich erworben werden.

„Wir wollen gemeinsam kochen, Lesungen anbieten, Texte übersetzen oder Geschichten aufschreiben“, zählt Fatima Kamboua auf. „Es gibt so viele Märchen. Meine Prägung war stark märchenbasiert. Mein Vater war ein Geschichtenerzähler, das hatte er von seiner Oma. Ähnlich wie bei den Brüdern Grimm oder in den Geschichten Tausendundeine Nacht gibt es auch in den masirischen Märchen Prinzessinnen, Hexen und Monster. „Die Erzähler*innen sterben aus. Wer hält diese Geschichten fest? Wen fragen wir, wenn sie nicht mehr da sind?“ Eine Antwort könnte lauten: Die Amazigh Akademie.

Mir ging es immer gegen den Strich, fremdbezeichnet zu werden.

Mustapha Takaddart
Foto: Neven Allgeier

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