KUNST FÜR ALLE IN DER SCHIRN

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KUNST FÜR ALLE IN DER SCHIRN
6. JULI BIS 3. OKTOBER 2016

ine historische Wende: 1889 entdeckte ihn Paul Gauguin für sich. 1896 experimentierte Edvard Munch mit ihm. Um 1900 widmete ihm die junge Künstlergeneration in Wien ihre Aufmerksamkeit. Folgen Sie in der SCHIRN Ausstellung zum Farbholzschnitt den neuen Impulsen, die eines der ältesten Druckverfahren der Menschheit belebten. Gezeigt werden Arbeiten von bedeutenden Mitgliedern der Wiener Secession sowie einigen heute fast vergessenen Künstlerinnen und Künstlern. Die traditionsreiche Technik ließ der Fantasie großen Freiraum und trug zu einer Popularisierung der modernen Kunst um die Jahrhundertwende bei.

Erwin Lang: Mädchen in rotem Kleid (Grete Wiesenthal), um 1904.

Hochburg der Künste

Die Donaumetropole hätte ihren Ruf um 1900 bereits auf die atemberaubende Menge an Kaffeehäusern gründen können. Ein Übriges tat die Dichte an künstlerischen und intellektuellen Größen, die diese öffentlichen Wirkstätten magnetisch anziehend fanden und sie als ihre Wahlheimat betrachteten.

Emil Orlik: Drei Mädchen beim Brettspiel, 1906/1908.

Arthur Schnitzler, Sigmund Freud, Hugo von Hofmannsthal und Robert Musil sind nur einige der Protagonisten, die in den Wiener Kaffeehäusern ein- und ausgingen. In ihren Werken entfaltete sich die volle Blüte von künstlerischen Strömungen aus ganz Europa. Das Who’s-Who traf man besonders im noblen Café Landtmann, wo Berta Zuckerkandl-Szeps zu ihren Salons einlud. Gustav Klimt hatte hier regelmäßig die Ehre und machte auf Initiative der Gastgeberin die Bekanntschaft von Auguste Rodin.

Ob „Wiens eleganteste Café-Localität“ Klimts bevorzugtes Kaffeehaus war, darf bezweifelt werden. Als Inbegriff des sogenannten Ringstraßenstils stand das Landtmann für ebenjenen Historismus, dem er im April 1897 zusammen mit anderen Gründungsmitgliedern der Secession eine ästhetische Kampfansage erteilte: Mit dem bekannten Credo „Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“ wandte sich die neue Bewegung von der anachronistischen Kunst des Bürgertums ab. Alle Aspekte des Lebens sollten ästhetisch als Gesamtkunstwerk gestaltet und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden!

Vor diesem Hintergrund nahm der Farbholzschnitt an Fahrt auf, mit dem sich bis 1908 mehr als 40 Künstlerinnen und Künstler begeistert beschäftigten.

Wie weggefegt sind die letzten Reste der traditionellen Copien und Imitationen, und die Werke der Kunst sind wieder das geworden, was sie zu allen Zeiten waren: Neugeschaffenes, aus der Künstlerseele Geborenes.

Ver Sacrum Heft 2, 1900, S. 21.

Ansichtssache

In der kaiserlich-königlichen Residenzstadt reihte sich eine imposante Sehenswürdigkeit an die andere. Auf die beliebten Motive griff natürlich auch der Wiener Farbholzschnitt zurück. Die große Experimentierfreude der Künstlerinnen und Künstler führte allerdings nicht zu konventionellen Umsetzungen, sondern eine abstrahierende Reduktion von Form, Umriss und Farbe.

Carl Molls Drei-Plattenholzschnitt zeigt das winterliche Schloss Belvedere. Der Blick des Betrachters folgt den Fluchtlinien an den barocken Statuen vorbei, hin zum Oberen Schloss des Wiener Wahrzeichens. Mit der Motivwahl trifft das Gründungsmitglied der Secession genau den Geschmack des Publikums. Die idyllisch verschneite Parkanlage fand u. a. wegen der aufkommenden Wintersportindustrie Anklang. Für den Betrachter nicht sichtbar, erstreckt sich in dessen Rücken das Untere Belvedere. Auf Carl Molls Betreiben hin wird dort 1903 die Moderne Galerie eröffnet, die sich als wichtiger Ausstellungsort für die Secessionisten etabliert.

Ein vergleichbares Motiv wählt 1903 Fanny Zakucka mit den Hainbuchenalleen im Park von Schloss Schönbrunn. Die barocke Pracht mit all ihrem Schmuck ist bestenfalls zu erahnen, da Zakucka mit der Tradition einer gegenständlichen Darstellung bricht. Weit fortgeschritten ist der Grad der Abstraktion. Entschlossen reduziert Zakucka die Allee auf gelbe und blaue Flächen, die durch Überdrucken weitere grüne Flächen entstehen lassen. Überraschend früh löst sich die Kunst der jungen Frau von der sichtbaren Welt und übersetzt sie in Farb- und Formkompositionen. Trotz ihrer wegweisenden Modernität, bleiben der jungen Grafikerin der finanzielle Erfolg und die Beachtung durch ein breiteres Publikum verwehrt.

Dass es erst so spät zu einer Wiederentdeckung dieses Druckverfahren kommt, ist wohl nicht allein mit dem Kleinformat zu erklären. Geschuldet ist dieser blinde Fleck der Kunstgeschichte vor allem der Geisteshaltung ihrer Zeitgenossen, die Kunst von weiblichen Künstlern als minderwertig belächelten. Obwohl man ihr eine „unerschrockene Grellheit“ zugestand, wurde ihr Druck lange übersehen.

Eine revo­lutio­näre Wieder­ent­deck­ung

Czeschka-Schule: Muster für ein Vorsatzpapier, ca. 1905.

Update einer Tradition

Aufgeladen und aufgewertet: Im Umfeld der Secession, der Wiener Kunstgewerbeschule und der Wiener Werkstätten setzte eine jahrhundertelang vergessene Technik zu einem unerwarteten Höhenflug an.

Der Holzschnitt wurde im 19. Jahrhundert noch als Mittel der informativen Bildberichterstattung verwendet, bis ihn schließlich das fotomechanische Verfahren verdrängte. Als Kunstmedium in hoher Auflage war er hingegen für eine breite Käuferschaft erschwinglich. Mit der wiederentdeckten Technik des Farbholzschnitts entwickelten Künstler neue Bildmotive und eine außerordentliche thematische Vielfalt.

Was ist ein Holz­schnitt?

Um einen Holzschnitt herzustellen, schneidet der Künstler mit scharfen Werkzeugen das Motiv in eine geglättete Holzplatte hinein – den Druckstock. Da es sich um ein Hochdruckverfahren handelt, bleiben beim Bearbeiten der Platte alle Bereiche stehen, die gedruckt werden sollen. Alles andere wird also aus dem Holz herausgeschnitten. Ein Relief entsteht. Der eingefärbte Druckstock konnte per Hand oder mit einer mechanischen Presse auf Papier gedruckt werden.

Eine Herausforderung beim Holzschnitt: Die Motive mussten spiegelverkehrt in die Druckplatte geschnitten werden, damit der Druck anschließend das Werk korrekt wiedergibt. Man konnte bis zu 400 Exemplare eines Werkes mit einem Druckstock herstellen. So ließen sich Bildmotive günstig in großer Menge reproduzieren und über Ländergrenzen hinweg verbreiten.

Der Holzschnitt ist eines der ältesten Vervielfältigungsverfahren. Bereits im frühen 15. Jahrhundert stellte man mit dieser Technik Kunstwerke, Flugblätter und sogar ganze Bücher her. Albrecht Dürer († 1526) und besonders Lucas Cranach († 1553) perfektionierten dieses Verfahren durch die Verfeinerung der Linien. Die meisten Holzschnitte dieser Zeit waren für den einfarbigen Druck vorgesehen und wurden zum Teil nachträglich mit der Hand koloriert.

Die Bearbeitung von Holz ist kompliziert. Die Grenzen des Materials fordern zu immer weiteren Bild- und Formfindungen heraus. Im Rahmen der Technik musste das Verhältnis zwischen Hintergrundgestaltung und Vordergrundmotiv neu definiert werden. Max Kurzweil verwendet für den Entwurf des Holzschnitts mit seiner schlafenden Gattin insgesamt nur drei Farben, davon großflächig Schwarz. Dennoch lassen sich beide Bereiche gut voneinander unterscheiden.

Ludwig Heinrich Jungnickel: Drei blaue Ara, 1909.
Max Kurzweil: Die Gattin des Künstlers (Martha Kurzweil, auf einem Diwan schlafend), 1902.
Wie funk­tio­niert ein Farb­holz­schnitt?

Die Wiener Künstler führten alle Arbeitsschritte des Farbholzdruckes in Personalunion durch: Sie entwarfen die Motive, schnitten diese ins Holz, färbten die Druckstöcke ein, wofür oft verschiedene Durchgänge nötig waren, und druckten eigenhändig das Motiv auf das Papier.

Bereits im 15. Jahrhundert gab es den Wunsch, den Holzschnitt direkt farbig zu drucken. Hierfür wurden die verschiedenen Partien des Druckstocks aufwendig jedes Mal neu von Hand eingefärbt.

Eine Variante war das Anfertigen mehrerer Druckplatten je Motiv – für jeden Farbton eine. Die einzelnen Platten unterschieden sich in ihrem Motivschnitt, da die Verteilung der verschiedenen Farbtöne nicht einheitlich innerhalb des fertigen Bildes ist. Alle Farbschichten übereinander ergeben das vollständige Bild. Die Herausforderung bei dieser Methode besteht im genauen Ansetzen der einzelnen Druckstöcke nacheinander, ohne dass die Konturen sich verschieben. Das Papier konnte sich bei den einzelnen Trocknungsvorgängen sogar verziehen.

rei Druckplatten mit verschiedenen Flächen ergeben insgesamt den Farbholzschnitt „Tigerkopf“. Je mehr Farbnuancen ein Farbholzschnitt aufwies, desto aufwendiger war sein Herstellungsprozess, weil jede Farbe einen eigenen Druckstock benötigt. Um mit möglichst wenigen Druckplatten auszukommen, setzten einige Künstler verstärkt Konturen als gestalterisches Mittel ein.

Ludwig Heinrich Jungnickel: Tigerkopf, 1909.
Ludwig Heinrich Jungnickel: Druckstöcke zum „Tigerkopf“: Druckstock 1, Grauplatte; Druckstock 2, Ockerplatte; Druckstock 3, Schwarzplatte, 1909.

Der Farbholzschnitt „Tigerkopf“ wird durch insgesamt drei verschiedene Druckplatten gedruckt, jede bildet auf ihren erhabenen Flächen einen anderen Bereich ab. So werden durch die Grauplatte Hintergrund und Brust des Tigers gedruckt, das Fell durch die Ocker-Platte und die Konturen durch die Schwarzplatte. Die Animation zeigt erst die erhaltenen Druckplatten und dann die Farbbereiche, die sie drucken.

JAPANISCHE
EINFLÜSSE

Czeschka-Schule: Muster für ein Vorsatzpapier, ca. 1905.

Traumziel Japan

Europäische Künstler waren fasziniert von der japanischen Ästhetik. Der Secessionist Emil Orlik reiste zwischen 1900 und 1904 in das Land der aufgehenden Sonne, um den Farbholzschnitt vor Ort zu studieren.

Kompositorische Experimente zwischen naturgetreuer Darstellung und abstrakter Formensprache! Das typische Spiel von schwarzen Linien und spannungsreichen Farb- und Leerflächen! Orlik setzt die gewonnen Erfahrungen über den japanischen Holzschnitt in seiner eigenen Kunst um und vermittelt sie ab 1902 auch seinen Schülern.

Emil Orlik, Japanische Pilger auf dem Weg zum Fujiyama, 1901.
Utagawa Kunisada: Der Schauspieler Nakamura Fukusuke in der Rolle des berühmten Samurai Miyamoto Musashi in dem Theaterstück Ichimuraza in Edo vom 23. Mai 1856.

Im Land der aufgehenden Sonne

Um 1854 gibt Japan seine Isolationspolitik auf. Diese Wendung löst in ganz Europa eine Begeisterung für die japanische Kultur aus, die sich über zweihundert Jahre von der Außenwelt abgeschottet und fremden Einflüssen entzogen hatte.

Die Begeisterung der „Südbarbaren“, wie man in Japan die europäischen Besucher mitunter nannte, lässt in den kulturellen Zentren Europas einen Markt für japanische Objekte und Kunst entstehen. Aus europäischer Sicht öffnet sich ein seit langem verschlossenes ein Fenster zum Fernen Osten. Das neu entdeckte Land der aufgehenden Sonne fasziniert und wird zum Inbegriff der Exotik.

Nicht nur die handwerkliche Raffinesse ihrer japanischen Kollegen beeindruckte die Künstler, auch die Formsprache brachte wertvolle Impulse und regte zu eigenen Experimenten an. Der Japonismus erfasste Wien.

Mit der sechsten Secessionsausstellung im Jahr 1900 ist es dann in Wien soweit: alt-japanische Kunst kommt in die Stadt. Erstmalig machte die Ausstellung dem Wiener Publikum 150 japanische Holzschnitte zugänglich. Diese „Bilder der fließenden Welt“, wie die klassischen Holzschnitte auf Japanisch heißen, zeigten Alltagsszenen aus der Welt des Japanischen Bürgertums der Edo-Zeit, die von 1603 bis zur Öffnung des Landes im Jahr 1867 reichte.

Hand in Hand

Emil Orlik zeigt, dass der japanische Farbholzschnitt in Arbeitsteilung als Gemeinschaftsproduktion entsteht. Anders als im Wien der Jahrhundertwende kommen in Japan Maler, Holzschneider und Drucker nicht in einer Person zusammen.

Eine neue
Zeitrech­nung

Kolo-Moser-Schule: Drei Vögel – Muster für ein Vorsatzpapier, ca. 1905.

er Widerstand der Holzplatte und die Sperrigkeit des Materials bedingen beim Holzschnitt immer auch eine reduzierte Formsprache. Eine besondere Qualität der Wiener Farbholzschnitte ist es jedoch, die Gestaltung konsequent weiterzuentwickeln. Gut ein Jahrzehnt bevor der deutsche Expressionismus den Holzschnitt und seine Eigenschaften für sich entdeckt, entstehen in Wien Drucke, deren Modernität angesichts ihres frühen Entstehungszeitpunkts überrascht.

Carl Anton Reichel: Weibliche Aktstudie, 1909.

Körper im Raum

Kühl und selbstbewusst breitet sich der weibliche Akt von Carl Anton Reichel im Bildvordergrund aus. Harte Kanten des Körperschattens geben der Frau ihre Form und entschlossene schwarze Linien umreißen ihre Konturen. Ihr Körper hebt sich schattenlos vom flächigen Raum ab. Er scheint zu schweben. Ein einfaches geometrisches System aus drei Achsen teilt den Hintergrund in monochrome Farbfelder und suggeriert eine Perspektive der Höhe, Länge und Breite – es entsteht ein ganzer Raum.

Abstrakte Anmutung

Eine ebenfalls revolutionäre Vereinfachung des Raums nimmt Nora Exner mit ihrer Illustration für das Designmagazin „Die Fläche“ vor. Ohne auf schwarze Konturlinien zurückzugreifen, entsteht bei ihr aus verschiedenen, einfarbigen Flächen ein abstrahierter Treppenraum mit rotem Teppich und einem weißen Hund und erzeugt die Illusion von Räumlichkeit.

Nora Exner: Hund, Reproduktion aus „Die Fläche“ (Detail), 1905.
Ditha Moser: Kalender für das Jahr 1910, Sonntag.

Es gab nicht den einen vorherrschenden Secessionsstil. Folglich sind bei den Künstlerinnen und Künstlern des Wiener Farbholzschnitts die unterschiedlichsten Erscheinungsformen anzutreffen. Zu wesentlichen Gestaltungselementen gehört der Dialog von Fülle und Leere, naturgetreue Darstellung springt immer wieder in eine klare Reduktion der Form, geometrische Formen stehen spannungsreich gegen organische. Aus den zahlreichen Einflüssen bildet sich in Wien eine harmonische Formsprache heraus, die in Richtung Moderne weist.

Das Ornament in Vollendung

Die meisten Farbholzschnitte erzählen keine Geschichte im Sinne einer Handlung, sondern inszenieren Motive aus dem Moment heraus.

Der Wiener Jugendstil richtete auf das Ornament ein besonderes Augenmerk. Schon bei den prunkvollen Bauten der Wiener Ringstraße spielt es im 19. Jahrhunderts eine große Rolle. Dass es in vielen Holzschnitten als gestalterisches Element inszeniert wird, ist nicht verwundernswert. So steht Anton Eichingers „Till Eulenspiegel“ vor einer dekorativen dunkelblauen Musterfläche, die zu keinem speziellen Raum gehört. Manche Bilder schienen fast nur noch aus Ornamenten zu bestehen, was durchaus kritisch betrachtet wurde. Der Wiener Architekt Adolf Loos bekämpfte das Ornament vehement. Er vertrat die Ansicht, dass das ausufernde Ornament in seiner ausschließlich dekorativen Wirkung ein überflüssiger und ressourcenverschwendender Auswuchs sei.

Anton Eichinger: Till Eulenspiegel, um 1903.
Adolf Loos: „Ornament und Verbrechen“

In den 1890er Jahren hatte Adolf Loos als junger Architekt die USA bereist und dort mit den ersten Hochhäusern eine innovative Form des Bauens kennengelernt. Er kannte den Architekten Louis H. Sullivan persönlich, der die Ansicht eines „form follows function“ vertrat – das Aussehen von Gegenständen solle rein durch ihre zu erfüllende Funktion bestimmt werden. Alles was darüber hinausgehe, sei überflüssig. Diese Haltung übernahm Loos und wandte sich gegen die künstlerische Gestaltung von Alltagsgegenständen. Zurück in Wien hielt er seinen berühmten Vortrag „Ornament und Verbrechen“, in dem er das Ornament als „Seuche“ betrachtet, mit einem niedrigen Entwicklungsstadium der Menschheit in Verbindung bringt und umgekehrt dessen Abwesenheit als hohen Zivilisationsstufe betrachtet. Zum Wohle der Menschheit, so Loos, müsse man sie aus der „Sklaverei des Ornaments“ befreien. Mit dieser Ansicht und seinem eigenen Schaffen bildete Loos eine extreme Gegenposition zu den Ornamentbefürwortern der Wiener Werkstätten. Dort liegt auch der Ursprung der Holzschnittproduktion.

Pop 1900

Marie Uchatius: Panther – Muster für ein Vorsatzpapier, ca. 1905.

Wiener Werbewelten

Die Neubewertung des Farbholzschnitts in Wien findet vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Begeisterung für Plakate, Werbung, illustrierte Bücher und Zeitungen statt. Die Nachfrage an reproduzierbaren Bildern stieg stetig.

Werbung hielt Einzug in die Alltagswelt der Großstädte. Ladenbesitzer, Händler und Geschäftsleute versprachen sich viel von der Wirkung künstlerisch gestalteter Annoncen. Sogar im ersten Ausstellungskatalog der Secession lockte auf Anzeigen z. B. „das beste Schönheits-Mittel“, „ein Präcissions-Fahrrad ersten Ranges“ und „der beste aller Bleistifte“.

Die Kunstgewerbeschulen rückten mit ihren Ideen zunehmend ins Zentrum der Avantgarde. In enger Zusammenarbeit mit den Wiener Werkstätten, einer 1903 gegründeten Produktionsgemeinschaft bildender Künstler, galt es den traditionellen Kunstbegriff um den angewandten Bereich zu erweitern. Die Grenzen zwischen hoher und niederer, zwischen bildender Kunst und dem Kunsthandwerk verschwanden zunehmend unter den Erzeugnissen einer modernen Bildproduktion. Im Dienste der Alltagskultur und der Werbung konnten die Wiener Künstlerinnen und Künstler mit ihren Farbholzschnitten ein großes Publikum erreichen.

Ludwig Heinrich Jungnickel: Rauchende Grille, 1910.

Kunst to go

Als der Hipster noch Dandy hieß, durfte er in aller Öffentlichkeit mit brennender Zigarette gezeigt werden. Mit seinem Motiv gelang Ludwig Heinrich Jungnickel die Synthese von bildender Kunst und Gebrauchsgrafik. Als Mitarbeiter der Wiener Werkstätte entwarf er nicht nur Tapeten, Teppiche und Stoffmuster, sondern auch Postkarten und Werbeplakate. Seine rauchende Grille überrascht durch ihr zeitloses Erscheinungsbild: Die plakative Umsetzung nimmt die Comic-Kunst oder Popkultur der 60er-Jahre vorweg.

Kunst­zeit­schriften

Als Mitteilungsorgan der Wiener Secession existierte „Ver Sacrum“ (deutsch: „Heiliger Frühling“) sechs Jahre lang. Namhafte Künstler der Wiener Avantgarde gestalteten die Seiten der Zeitschrift. Literaten aus ganz Europa schrieben die Beiträge. So wurden die Leser mit dem Schaffen zeitgenössischer Künstler vertraut. Ein weiteres Journal, „Die graphischen Künste“, widmete sich druckgrafisch arbeitenden Künstlern, von denen sie manche förderte.

Beiden Zeitschriften lagen gelegentlich Kunstdrucke bei. Als Originale wurden diese von der breiten Leserschaft hochgeschätzt – schließlich waren es Kunstwerke, die erschwinglich waren.

0:00 min
Josef Hoffmann: Das Arbeitsprogramm der Wiener Werkstätte, 1904.

Die Zeitschrift „Ver Sacrum“ ist ein Appell an den Kunstsinn der Bevölkerung zur Anregung, Förderung und Verbreitung künstlerischen Lebens und künstlerischer Selbständigkeit.

Ver Sacrum 1, 1898, S. 31.

ichtungsweisend: „Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir?“ betitelte Paul Gauguin sein letztes Gemälde, das im Gründungsjahr der Secession 1897 entstand. Den Aufbruch der Wiener Künstlerinnen und Künstler in Richtung Moderne hätte der Franzose – neben Edvard Munch der Pionier des Farbholzschnitts – bestimmt als Antwort gelten lassen. Entdecken Sie nach unserem Streifzug das selbständige künstlerische Ausdrucksmittel, zu dem der Farbholzschnitt innerhalb eines Jahrzehnts avancierte, nun bei Ihrem Besuch in der SCHIRN. Expressionismus? Pop Art? Street Art? Wir sind gespannt, welche Assoziationen Ihnen als Besucher der Ausstellung durch den Kopf gehen.

GEHEIMTIPP

Marie Uchatius: Vögel – Flächenmuster, o.J.

Was man nur am Original sehen kann

Leichtigkeit der Punkte – die Spritztechnik

Die Wiener Künstlerinnen und Künstler beeindrucken nicht nur durch ihre thematische und stilistische Vielfalt, sondern auch durch ihre technischen Experimente. In der digitalen Reproduktion kaum zu übersetzen ist die feine Nuancierung von Farbflächen bei der Spritztechnik. Bei der Spritztechnik wird Farbe mit Bürsten über ein feinmaschiges Gitter zerstäubt. Innerhalb eines von Schablonen definierten Bereichs, treffen feinste Punkte auf den Malgrund und bilden eine feingekörnte, transparente Fläche. In zarter Farbigkeit entstehen Motive, die ohne Umrisslinien ihre Form finden.

Ludwig Heinrich Jungnickel: Tennisspielerin, 1905/1906, evtl. 1903.
Ludwig Heinrich Jungnickel: Obstgarten (auch: Waldwiese), 1903.

Das Spiel von Licht und Schatten des Blätterdachs über der Szenerie mag an Impressionisten erinnern. Die Vielzahl unterschiedlich farbiger Punkte verschmilzt zur Fläche und erzeugt im Auge des Betrachters einen neuen Farbeindruck. Dies legt nicht nur Jungnickels Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Theorien der Farbwahrnehmung, sondern auch der Farblichtmalerei der Postimpressionisten nahe. Die Formgebung mit Schablonen ist eine der ältesten Drucktechniken der Menschheit. In den Stencils der Street Art erfreut sie sich heute noch großer Beliebtheit.

RUND UM DIE AUSSTELLUNG

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ABBILDUNGEN

Erwin Lang: Mädchen in rotem Kleid (Grete Wiesenthal)/ Girl in a Red Dress (Grete Wiesenthal), um 1904. © Universität für angewandte Kunst Wien, Kunstsammlungen und Archiv.

Emil Orlik: Drei Mädchen beim Brettspiel/ Three Girls playing a Board Game, 1906/1908. © Norbert Miguletz.

Carl Moser: Die kleine Bretonin/ The Little Breton Girl, 1902. © Privatsammlung.

Carl Moll: Belvederegarten im Winter/ Belvedere Park in Winter, um 1903. © ALBERTINA, Wien.

Fanny Zakucka: Schönbrunn/ Schönbrunn, 1903. © ÖNB/ Wien 432000318-C.

Czeschka-Schule: Muster für ein Vorsatzpapier/ Pattern for endpapers, ca. 1905. © MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst.

Ludwig Heinrich Jungnickel: Drei blaue Ara/ Three Blue Macaws, 1909. © ALBERTINA, Wien.

Maximilian Kurzweil: Die Gattin des Künstlers (Martha Kurzweil, auf einem Diwan schlafend)/ The Artist’s Wife Asleep on a Divan, 1902. © Secession, Wien.

Ludwig Heinrich Jungnickel: Tigerkopf/ Head of a Tiger, 1909. © ALBERTINA, Wien.

Ludwig Heinrich Jungnickel: Druckstöcke zum Tigerkopf: Druckstock 1, Schwarzplatte; Druckstock 2, Grauplatte, Druckstock 3, Ockerplatte/ Printing blocks Head of a Tiger: printing block 1, black plate; printing block 2, grey plate, printing block 3, ochre plate, 1909. © Norbert Miguletz.

Czeschka-Schule: Muster für ein Vorsatzpapier/ Pattern for endpapers, ca. 1905. © MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst/ Gegenwartskunst.

Emil Orlik: Japanische Pilger auf dem Weg zum Fujiyama/ Japanese Pilgrims on the Way to Mount Fuji, 1901. © Norbert Miguletz.

Utagawa Kunisada: Der Schauspieler Nakamura Fukusuke in der Rolle des berühmten Samurai Miyamoto Musahi in dem Theaterstück Ichimuraza in Edo/ The Actor Nakamura Fukusuke in the Role of the Famous Samurai Miyamoto Musahi in the Drama Ichimuraza in Edo, 1856. © Privatsammlung.

Emil Orlik: Der Maler/ The Painter, 1901. © Norbert Miguletz.

Emil Orlik: Der Holzschneider/ The Woodcutter, 1901. © Norbert Miguletz.

Emil Orlik: Der Drucker/ The Printer, 1901. © Norbert Miguletz.

Kolo-Moser-Schule: Drei Vögel – Muster für ein Vorsatzpapier/ Three Birds – pattern for endpapers, ca. 1905. © MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst.

Carl Anton Reichel: Weibliche Aktstudie/ Study of a female nude, 1909. © ALBERTINA, Wien.

Nora Exner: Hund/ Dog, ca. 1902/1903. © Universität für angewandte Kunst Wien, Kunstsammlungen und Archiv.

Ditha Moser: Kalender für das Jahr 1910/ Calendar for 1910, 1910. © MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst.

Anton Eichinger: Till Eulenspiegel/ Till Eulenspiegel, ca. 1903. © Universität für angewandte Kunst Wien, Kunstsammlungen und Archiv; Fotograf: Birgit und Peter Kainz, faksimile digital.

Marie Uchatius: Panther – Muster für ein Vorsatzpapier/ Panther – pattern for endpapers, ca. 1905. © MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst/ Gegenwartskunst.

Ludwig Heinrich Jungnickel: Rauchende Grille/ Smoking Cricket, 1910. © Wien Museum.

Marie Uchatius: Vögel – Flächenmuster/ Birds – pattern, o.J. © Universität für angewandte Kunst Wien, Kunstsammlungen und Archiv.

Ludwig Heinrich Jungnickel: Obstgarten (auch: Waldwiese)/ The Orchard (also: Woodland Meadow), 1903. © Norbert Miguletz.

Ludwig Heinrich Jungnickel: Lawntennis (auch: Tennisspielerin, Tennisplatz)/ Lawn Tennis (also: Woman Playing Tennis, The Tennis Court), 1905/06, evtl. 1903. 1905/1906, possibly 1903. © Norbert Miguletz.

AUDIOZITAT

„Das grenzenlose Unheil, welches […]“/ “Inferior mass production, on the one hand, and […]“, zitiert nach/ quoted from: Josef Hoffmann: Das Arbeitsprogramm der Wiener Werkstätte, 1904. In: Wunberg, Gotthart (Hrsg.), Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1910. Stuttgart. 2000. Aufnahme: 4-Real Intermedia GmbH Offenbach 2016.

ZITAT

„Wiens eleganteste Café-Localität“/ “Vienna’s most elegant café”, zitiert nach/ quoted from: http://www.landtmann.at/ (online abgerufen am: 01.06.2016; 16:30).

„Der Zeit ihre Kunst […]“/ “To every age its art and to art its freedom […]”, zitiert nach/ quoted from: Tobias G. Natter, Max Hollein, Klaus Albrecht Schröder (Hrsg.) Hg. : Kunst für alle. Der Farbholzschnitt in Wien um 1900, Köln 2016; S.15.

„Wie weggefegt […]“/ “How swept away […]“, zitiert nach/ quoted from: Ver Sacrum. Heft 2, 1900, S.21.

„Die Zeitschrift „Ver Sacrum“ ist ein Appell an […]“/ “The magazine ‘Ver Sacrum’ is an appeal to […]“, zitiert nach/ quoted from: Ver Sacrum. Heft 1, 1898, S.31.